Das Testament
hier, und von keinem auch nur ein Wort.« Seine Stimme klang unglücklich, und seine Schultern hingen herab. Er sah einen Augenblick lang ziemlich zerbrechlich aus.
»Das tut mir leid«, sagte Josh.
Josh hatte allerdings von den Familien gehört. Beide Frauen ließen sich von Anwälten vertreten, und die hatten angerufen, um festzustellen, ob es Geld zu holen gab. Nates Ältester studierte an der Northwestern University und brauchte Geld für seine Studiengebühren. Er hatte persönlich bei Josh angerufen, nicht etwa, um sich nach dem Befinden oder dem Aufenthaltsort seines Vaters zu erkundigen, sondern, weit wichtiger, nach der Höhe seiner vorjährigen Gewinnbeteiligung an der Kanzlei. Er war anmaßend und unhöflich, und Josh hatte ihm schließlich gesagt, er solle sich zum Teufel scheren.
»Ich will nichts mit all den Feiern und der aufgesetzten Fröhlichkeit zu tun haben«, sagte Nate. Er stand auf und ging auf bloßen Füssen durch das Zimmer.
»Heißt das, du fährst hin?«
»Liegt es am Amazonas?«
»Nein, im Pantanal, dem größten Überschwemmungsgebiet’ der Welt.«
»Mit Piranhas, Anakondas und Alligatoren?«
»Na klar doch.«
»Gibt es da auch Kannibalen?«
»Nicht mehr als in Washington.«
»Ernsthaft.«
»Nein, wohl nicht. Die Leute haben in elf Jahren keinen einzigen ihrer Missionare verloren.«
»Und was ist mit Anwälten?«
»Bestimmt würde es ihnen großen Spaß machen, einen zu filetieren. Hör mal, Nate.
Die Sache ist nicht besonders schwierig. Wenn ich nicht so viel zu tun hätte, würde ich selbst gern hinfahren. Das Pantanal ist ein großes ökologisches Reservat.«
»Ich hab noch nie im Leben davon gehört.«
»Weil du schon seit Jahren nicht mehr reist. Du warst immer nur in deinem Büro und im Gerichtssaal.«
»Abgesehen von den Entwöhnungskuren.«
»Mach mal Urlaub. Lern einen ändern Teil der Welt kennen.«
Nate nahm einen großen Schluck Kaffee und steuerte dann das Gespräch in eine andere Richtung. »Und was ist danach? Krieg ich dann mein Büro wieder? Bleibe ich Teilhaber?«
»Möchtest du das denn?«
»Selbstverständlich«, sagte er, zögerte aber ein wenig.
»Bestimmt?«
»Was sollte ich wohl sonst wollen?«
»Was weiß ich? Immerhin ist das jetzt schon deine vierte Entziehungskur in zehn Jahren. Es wird immer schlimmer mit dir. Wenn du jetzt rauskämst, würdest du auf dem kürzesten Weg in die Kanzlei gehen und sechs Monate lang der beste Anwalt für Kunstfehlerverfahren sein. Du würdest die alten Freunde meiden, die Kneipen und die Stadtviertel, in denen du früher verkehrt hast. Nichts als Arbeit, Arbeit und noch mal Arbeit. Es würde nicht lange dauern, und du hättest ein paar großartige Prozesse. Du würdest große Erfolge feiern und unter großem Druck stehen. Dann würdest du einen Gang zulegen, und ein Jahr später würde sich irgendwo ein Riss zeigen. Ein alter Freund trifft dich auf der Straße, eine Frau aus einem anderen Leben taucht auf. Vielleicht läuft ein Prozess nicht so gut, und das Urteil entspricht nicht deinen Erwartungen. Ich würde dich genau im Auge behalten, aber ich kann nicht vorAussagen, wann du wieder abrutschst.«
»Ich rutsche nicht mehr ab, Josh. Das schwöre ich.«
»Das würde ich dir gern glauben, aber ich hab das schon mal gehört. Und was ist, wenn sich deine Dämonen wieder melden, Nate? Beim letzten Mal fehlten nur ein paar Minuten, und du wärst tot gewesen.«
»So was kommt nicht wieder vor.«
»Das nächste Mal wird das letzte Mal sein, Nate. Dann gibt es eine feierliche Beisetzung, wir nehmen Abschied von dir und sehen zu, wie man dich ins Grab runterlässt. Das möchte ich nicht miterleben.«
»Soweit kommt es nicht. Das schwöre ich.«
»Wenn du das ernsthaft willst, schlag dir die Sache mit dem Büro aus dem Kopf.
Der Druck ist viel zu groß für dich.«
Am meisten waren Nate bei den Entziehungskuren die langen Perioden der Stille zuwider, der Meditation, wie Sergio es nannte. Man erwartete von den Patienten, dass sie sich wie Mönche ins Halbdunkel hockten, die Augen schlössen und inneren Frieden fanden. Das mit dem Hocken und den geschlossenen Augen kriegte Nate hin, aber hinter den Lidern kämpfte er alte Prozesse noch einmal durch, legte sich mit dem Internal Revenue Service an und schmiedete Ränke gegen seine früheren Ehefrauen. Vor allem aber machte er sich Sorgen um die Zukunft. Dieses Gespräch mit Josh hatte er in Gedanken schon viele Male durchgespielt.
Aber jetzt fielen ihm seine
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