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Das Testament

Das Testament

Titel: Das Testament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Woche vor der Entlassung war die Hölle. Zu den Mahlzeiten gab es statt fettfreier jetzt fettarme Gerichte mit so unvermeidlichen Zutaten wie Salz, Pfeffer, Käse und ein wenig Butter, damit sich sein Stoffwechsel auf die draußen zu erwartenden Widrigkeiten einstellen konnte. Nates Magen rebellierte, und er verlor noch mal über ein Kilo.
    »Das ist erst ein kleiner Vorgeschmack auf das, was dich da unten erwartet«, sagte Sergio von oben herab.
    Sie stritten sich während der Therapie, was in Walnut Hill an der Tagesordnung war. Die Leute mussten sich vor ihrer Entlassung eine dicke Haut zulegen, mussten lernen, sich zu wehren. Sergio begann sich von seinem Schützling zurückzuziehen. Ein Abschied war gewöhnlich schwierig, und Sergio verkürzte die Sitzungen und wurde reservierter. Jetzt, wo das Ende abzusehen war, begann Nate die Stunden zuzählen.
    Richter Wycliff wollte wissen, was in dem Testament stand, und Josh entzog sich seiner Bitte höflich. An einem kleinen Tisch im kleinen Amtszimmer des Richters aßen sie belegte Brote aus einer Feinkosthandlung. Dem Gesetz nach war Josh nicht verpflichtet, den Inhalt des Testaments bekannt zugeben, zumindest nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Wycliff überschritt mit seiner Aufforderung seine Kompetenzen, doch seine Neugier war verständlich.
    »Ich kann die Motive der Antragsteller nachempfinden«, sagte er. »Sie haben ein Recht zu erfahren, was in dem Testament steht. Warum zögern Sie das hinaus?«
    »Ich erfülle lediglich den Wunsch meines Mandanten«, antwortete Josh.
    »Früher oder später müssen Sie das Testament aber offen legen.«
    »Natürlich.«
    Wycliff schob seinen Terminkalender an den Plastikteller heran und sah über den Rand seiner Lesebrille hinein. »Heute ist der zwanzigste Dezember. Wir können unmöglich alle vor Weihnachten zusammentrommeln. Was halten Sie vom siebenundzwanzigsten?«
    »Woran denken Sie?«
    »An ein Verlesen des Testaments.«
    Als sich Josh vorstellte, was das bedeuten würde, wäre er fast an einem Dillstengel erstickt. Die Phelans und ihr Gefolge, samt ihren neuen Freunden und sonstigem Anhang sowie all ihre temperamentvollen Anwälte, würden in Wycliffs Gerichtssaal zusammenkommen. Außerdem musste man noch die Presse informieren.
    Während er ein weiteres Stück Gewürzgurke zerbiss und in sein kleines schwarzes Büchlein schaute, musste er sich große Mühe geben, ein breites Grinsen zu unterdrücken. Er konnte schon das Keuchen und Stöhnen, die unterdrückten Flüche hören, das Entsetzen und die bittere Enttäuschung spüren. Vielleicht würde es auch das eine oder andere Schluchzen geben, während die Phelans versuchten, mit dem fertig zu werden, was ihnen der geliebte Vater angetan hatte.
    Es wäre ein einzigartiger und wunderbarer Augenblick in der Geschichte der amerikanischen Rechtswesens, voller Tücken, und mit einem Mal konnte Josh es kaum mehr abwarten. »Der siebenundzwanzigste passt mir gut«, sagte er.
    »Schön. Ich werde die Parteien davon in Kenntnis setzen, sobald ich alle einander zugeordnet habe. Das sind ja geradezu Heerscharen von Anwälten.«
    »Die Sache ist für Sie einfacher, wenn Sie daran denken, dass es sechs Kinder und drei frühere Ehefrauen gibt, also neun Hauptgruppen von Anwälten.«
    »Hoffentlich ist mein Gerichtssaal groß genug.«
    Ausschließlich Stehplätze, hätte Josh fast gesagt. Die Leute dicht gedrängt, kein Laut zu hören, während der Umschlag geöffnet, das Testament entfaltet wird und die unglaublichen Worte vorgelesen werden. »Ich schlage vor, dass Sie das Testament verlesen«, sagte Josh.
    Dazu war Wycliff entschlossen. Er sah dieselbe Szene vor sich wie Josh. Ein Testament zu verlesen, in dem über elf Milliarden Dollar verfügt wird, wäre einer der größten Augenblicke seiner Laufbahn.
    »Ich vermute, das Testament macht es nicht allen Beteiligten recht«, sagte der Richter.
    »Es ist ausgesprochen boshaft.«
    Seine Ehren brachten tatsächlich ein Lächeln zustande.

    ZEHN

    Vor seinem jüngsten Rückfall hatte Nate in einem älteren Haus im Stadtteil Georgetown zur Miete gewohnt. Auch diese Wohnung, die er sich nach der letzten Scheidung genommen hatte, war seiner Zahlungsunfähigkeit zum Opfer gefallen, und so gab es buchstäblich keinen Ort auf der Welt, an dem er seine erste Nacht in Freiheit verbringen konnte.
    Wie auch schon bei früheren Gelegenheiten hatte Josh die Entlassung gewissenhaft geplant. Er kam am vereinbarten Tag und brachte eine

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