Das Testament
der Spitze hingen hübsche Federn herab, und Nate vermutete, dass es sich einfach um eine Art Zeremonialspeer handelte.
Der Anführer fasste die beiden Eindringlinge kurz ins Auge und richtete seine Worte an Jevy.
»Was wollt ihr hier?« fragte er auf portugiesisch. Sein Gesichtsausdruck war nicht freundlich, aber er wirkte auch nicht feindselig. Nate musterte aufmerksam den Speer.
»Wir sind auf der Suche nach einer amerikanischen Missionarin«, erklärte Jevy.
»Woher kommt ihr?« Während der Häuptling diese Frage stellte, sah er zu Nate hinüber.
»Corumba.«
»Und er?« Alle Augen ruhten auf Nate.
»Er ist Amerikaner. Er sucht die Frau.«
»Und warum?«
Das war der erste Hinweis darauf, dass die Indianer möglicherweise wussten, wo sich Rachel Lane befand. Hielt sie sich womöglich irgendwo hinten im Dorf verborgen, oder hörte sie gar, im Wald versteckt, das Gespräch mit an?
Jevy erklärte umständlich, dass Nate eine lange, gefahrvolle Reise hinter sich gebracht und dabei fast das Leben verloren hatte. Die Sache sei für die Amerikaner von großer Bedeutung, etwas, das weder er, Jevy, noch die Indianer verstehen konnten.
»Ist sie in Gefahr?«
»Nein. Überhaupt nicht.«
»Sie ist nicht hier.«
»Er sagt, dass sie nicht hier ist«, sagte Jevy zu Nate.
» Sagen Sie ihm, dass ich ihn für einen verlogenen Mistkerl halte«, forderte Nate ihn leise auf.
»Das glaube ich nicht.«
»Habt ihr je eine Missionarin hier in der Gegend gesehen?« fragte Jevy Der Anführer schüttelte den Kopf.
»Habt ihr je von einer gehört?«
Zuerst kam keine Antwort. Die Augen des Mannes verengten sich, während er Jevy abschätzend ansah, als wolle er fragen: Kann man diesem Mann trauen? Dann nickte er kaum wahrnehmbar.
»Wo ist sie?« fragte Jevy.
»Bei einem anderen Stamm.«
»Wo?«
Er sagte, er sei nicht sicher, wies dann aber nach Nordwesten. Irgendwo in dieser Richtung, sagte er und beschrieb mit seinem Speer einen Bogen über das halbe Pantanal.
»Guato?« fragte Jevy.
Der Mann verzog finster das Gesicht und schüttelte den Kopf, als wohne sie inmitten von Menschen, mit denen er nichts zu tun haben wollte. »Ipicas«, sagte er verächtlich.
»Wie weit fort?«
»Einen Tag.«
Jevy versuchte, ihn auf eine genaue Zeitangabe festzulegen, erfuhr aber bald, dass Stunden den Indianern nichts bedeuteten. Ein Tag hatte weder vierundzwanzig noch zwölf Stunden, sondern war einfach ein Tag. Er versuchte es mit dem Begriff halber Tag und kam ein wenig weiter.
»Zwölf bis fünfzehn Stunden«, sagte er zu Nate.
»Wenn man in einem dieser kleinen Kanus fährt, oder?« flüsterte Nate.
»Ja.«
»Und wie schnell schaffen wir das dann?«
»In drei bis vier Stunden. Immer vorausgesetzt, wir finden die richtige Stelle.«
Jevy holte zwei Karten heraus und breitete sie im Gras aus. Neugierig drängten sich die Indianer herbei und hockten sich dicht um ihren Anführer auf den Boden.
Um zu wissen, wohin sie fahren mussten, war es vor allem wichtig, festzustellen, wo sie sich befanden. Dabei erlebten sie eine böse Überraschung, denn der Anführer teilte ihnen mit, dass es sich bei dem Fluss, auf dem sie gekommen waren, nicht um den Cabixa handele. Irgendwann nach ihrer Begegnung mit dem Angler hatten sie eine falsche Abzweigung genommen und waren über die Guato gestolpert. Diese Mitteilung traf Jevy schwer, und er gab sie im Flüsterton an Nate weiter. Nate war erschrocken; immerhin hatte er Jevy sein Leben anvertraut.
Da bunte Flusskarten den Indianern wenig bedeuteten, verloren sie jegliches Interesse daran, als Jevy begann, seine eigene Karte zu zeichnen. Er fing mit dem namenlosen Fluss an, an dessen Ufer sie sich befanden, und arbeitete sich, während er unaufhörlich mit dem Häuptling redete, allmählich nach Norden vor.
Der Häuptling ließ sich von zwei jungen Männern informieren, glänzende Fischer, wie er Jevy mitteilte, die gelegentlich zum Paraguay fuhren.
»Heuern Sie sie an«, flüsterte Nate.
Das versuchte Jevy, erfuhr aber im Verlauf der Verhandlungen, dass die beiden die Ipicas noch nie gesehen hatten, keinen großen Wert darauf legten, nicht genau wussten, wo sie sich aufhielten, und auch nicht verstanden, was es bedeutete, für eine Arbeit bezahlt zu werden. Außerdem wollte der Häuptling nicht, dass sie fortgingen.
Die Strecke führte von einem Fluss zum nächsten, wandte sich nach Norden, bis sich der Häuptling und die Fischer nicht mehr darauf einigen konnten, wie es weitergehen
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