Das Testament
herumgestikuliert hatten, sagte Nate: »Übersetzung bitte.«
Die Indianer sahen Nate an.
»Americano«, erklärte Jevy, und ein weiteres Gespräch folgte.
»Was ist mit der Frau?« fragte Nate.
»Soweit sind wir noch nicht. Ich bin noch dabei, die Leute zu überzeugen, dass sie Sie nicht bei lebendigem Leibe verbrennen sollen.«
»Geben Sie sich Mühe.«
Weitere Indianer kamen. Man konnte ihre Hütten sehen, die rund hundert Meter entfernt am Rande eines Waldes standen. Weiter stromaufwärts lag ein halbes Dutzend Kanus am Ufer vertäut. Die Kinder begannen sich zu langweilen. Langsam lösten sie sich von ihren Müttern und wateten näher an das Boot heran, um es in Augenschein zu nehmen. Auch der Mann mit dem weißen Gesicht erweckte ihre Neugier. Nate lächelte, zwinkerte und entlockte ihnen schon bald ein schüchternes Lächeln. Wäre Welly nicht so verdammt geizig mit den Keksen gewesen, könnte ihnen Nate jetzt etwas anbieten.
Das Gespräch schleppte sich dahin. Der Indianer, der mit Jevy sprach, wandte sich von Zeit zu Zeit zu seinen Begleitern um und erstattete ihnen Bericht, woraufhin unter ihnen jedesmal große Unruhe ausbrach. Ihre Sprache schien aus einer Abfolge von Grunz- und Quieklauten zu bestehen, bei denen die Lippen so wenig wie möglich bewegt wurden.
»Was sagt er?« knurrte Nate.
»Keine Ahnung«, gab Jevy zurück.
Ein kleiner Junge legte eine Hand auf den Bootsrand und sah Nate mit schwarzen Pupillen an, die so groß wie Vierteldollarstücke waren. Ganz leise sagte er:
»Hallo.« Nate begriff, dass sie am richtigen Ort angekommen waren.
Außer Nate hörte niemand den Jungen. Nate beugte sich vor und sagte leise ebenfalls: »Hallo«.
» Good-bye «, sagte der Junge, ohne sich zu rühren. Rachel hatte ihm mindestens zwei Wörter beigebracht.
»Wie heißt du?« fragte Nate flüsternd.
»Hallo«, wiederholte der Junge.
Die Unterhaltung am Ufer kam auch nicht weiter. Die Männer hockten im angeregten Gespräch beieinander, während die Frauen kein Wort sagten.
»Was ist mit der Frau?« wiederholte Nate.
»Ich habe gefragt. Sie antworten nicht.«
»Was heißt das?«
»Ich bin nicht sicher. Ich vermute, dass sie hier ist, aber sie rücken aus irgendeinem Grund nicht mit der Sprache heraus.«
»Und warum nicht?«
Jevy verzog das Gesicht und sah beiseite. Woher sollte er das wissen?
Sie redeten noch ein wenig miteinander, dann brachen die Indianer auf- zuerst die Männer, dann die Frauen und zum Schluss die Kinder. Im Gänsemarsch zogen sie der Ansiedlung entgegen, bis man nichts mehr von ihnen sah.
»Haben Sie sie verärgert?«
»Nein. Sie wollen irgendeine Versammlung einberufen.«
»Glauben Sie, dass die Frau hier ist?«
»Ich denke schon.« Jevy machte es sich im Boot bequem und wollte ein Nickerchen halten. Es war fast eins, ganz gleich in welcher Zeitzone sie sich befinden mochten. Zum Mittagessen hatte es nicht mal einen aufgeweichten Salzkeks gegeben.
Gegen drei durften sie sich auf den Weg machen. Eine kleine Gruppe junger Männer führte sie vom Fluss über den Pfad zum Dorf, zwischen den Hütten hindurch, vor denen alle Bewohner reglos standen und sie beobachteten, dann weiter in den Wald.
Wenn das mal kein Todesmarsch ist, dachte Nate. Die bringen uns bestimmt zu irgendeinem steinzeitlichen Blutopfer in den Urwald. Er folgte Jevy, der zuversichtlich vorausschritt. »Wohin zum Teufel bringen die uns?« zischte Nate wie ein Kriegsgefangener, der seine Wächter aufzubringen fürchtete.
»Nur die Ruhe.«
Der Wald öffnete sich zu einer Lichtung, und sie sahen, dass sie wieder in der Nähe des Flusses waren. Unvermittelt blieb der Anführer stehen und machte eine Handbewegung. Am Rande des Wassers räkelte sich eine Anakonda in der Sonne. Das Tier war schwarz und trug an der Unterseite eine gelbe Zeichnung. An der dicksten Stelle betrug der Durchmesser seines Rumpfes mindestens dreißig Zentimeter. »Wie lang ist sie?« fragte Nate.
»Sechs oder sieben Meter. Endlich haben Sie eine Anakonda gesehen«, sagte Jevy.
Nate zitterten die Knie, und sein Mund war wie ausgedörrt. Der Anblick eines so langen und kräftigen Exemplars war wahrhaft eindrucksvoll. Über diese Schlangen hatte er Witze gerissen.
»Manche Indianer verehren sie als Gottheiten«, sagte Jevy.
Und was tun dann unsere Missionare hier? überlegte Nate. Er nahm sich vor, Rachel nach diesem Kult zu fragen.
Die Moskitos schienen es ausschließlich auf ihn abgesehen zu haben. Die Indianer waren
Weitere Kostenlose Bücher