Das Teufelsweib
Möglichkeit hatte, etwas dagegen zu tun. Irre Entschlossenheit in den Augen, näherte sich ihm nun Putois.
»Du sagst es mir nicht, René?« fragte er mit gedehnter Stimme.
»Marcel, du bist verrückt …«
»Du sagst es mir nicht?«
Perpignac war fahl geworden. Er wich zur Wand zurück.
»Marcel …«
»Du sagst es mir nicht?«
Putois folgte Perpignac, Schritt für Schritt, mit gezücktem Brieföffner. Seine Stimme wurde mit jeder Frage lauter.
»Marcel!« rief Perpignac noch einmal.
»Wo ist Manon, René?«
In der Stimme, die dies fragte, lag tödliche Drohung.
»Wo ist Manon, René?«
»In der Nähe.«
»Wo in der Nähe? In San Remo?«
»Dort war sie.«
»In Noli?«
»Nicht mehr.«
»In Savona? In Cogoleta?«
»Nein.«
»Wo dann? Ich frage dich zum letztenmal …«
Die Hand mit der tödlichen Waffe hob sich. Es gab keinen Zweifel mehr, daß sie auch zustoßen würde.
»In Genua«, preßte Perpignac rasch hervor.
Im Nu wandelte sich alles. Putois ließ den Arm sinken und warf den Brieföffner fort, in eine Ecke.
»Warum nicht gleich?« sagte er und schien selbst erleichtert. »In Genua also. Was macht sie dort?«
»Das weiß ich nun wirklich nicht«, erwiderte Perpignac, während er sich, immer noch zögernd, von der Wand löste. »Aber dreimal kannst du raten. Mit Kerlen wird Sie sich herumtreiben, schätze ich.«
Putois äußerte sich dazu nicht. Perpignac hätte ihm sehr wohl noch etwas mehr sagen können, aber er dachte nicht daran. Ihm stand der Sinn nach Flucht. Er wollte raus hier, weg von diesem Verrückten, der nicht mehr zurechnungsfähig war. Er bat ihn, die Tür aufzusperren und ihn ziehen zu lassen.
»Gut«, willigte Putois, der ja sein Ziel erreicht hatte, ein. »Aber ich werde in vier Tagen zurück sein. Du kannst auf mich warten. Dann fahre ich mit dir nach Paris.«
Perpignac schwankte noch einmal. Er wußte nicht, was er sagen sollte. Am liebsten wäre er ausfallend geworden und hätte Putois gefragt, ob er wüßte, was er ihn könne – kreuzweise könne. Aber vielleicht hätte das bei ihm einen neuen Anfall, der an Wahnsinn grenzte, ausgelöst. Perpignac hielt es deshalb für klüger, zurückzustecken.
»Meinetwegen«, sagte er. »In vier Tagen also …«
»In vier Tagen.«
»Ich werde warten.«
»Ich danke dir.«
Der dies sagte, schien plötzlich wieder ein ganz anderer zu sein, ein Mensch voller Freundlichkeit, mit guten Manieren, mit einem vertrauenerweckenden Lächeln. Perpignac war überrascht. Habe ich mir denn das, was hier während der letzten Viertelstunde passierte, nur eingebildet? fragte er sich. War das nur ein wüster Traum?
Putois erweckte wieder den Eindruck eines ganz normalen Menschen, eines Freundes. Aber das schien nur so. Der Wahnsinn hatte ihn schon in seinen Klauen.
15
San Remo stand seit einigen Tagen kopf. In dem kleinen, aber prunkvollen Stadttheater trat Enrico Martinelli, der berühmte Tenor der Mailänder Scala, der eigentlich nur zur Erholung hier weilte, auf, sang wie ein junger Gott und verdrehte den Damen den Kopf, was deren Ehemännern manche Stange Geld kostete, um die Aufmerksamkeit der Gattinnen vom Sänger wieder abzulenken und sie sich neuem Schmuck, neuen Roben zuwenden zu lassen.
Enrico Martinelli war den Enthusiasmus der Damenwelt seit langem gewöhnt. Wenn er angeschmachtet wurde, langweilte ihn das eigentlich nur noch. Solche Empfindungen verbarg er aber selbstverständlich immer peinlichst, um seiner Popularität nicht zu schaden.
Gelang es einer Frau einmal wirklich, ihn nicht zu langweilen, sondern zu fesseln, mußte diese schon eine außerordentliche Schönheit sein. Dann aber wurde sozusagen ein schlafender Hund geweckt, dann brach der Italiener in Martinelli durch, und er verfiel in Liebesraserei.
Im allgemeinen wollte er jedoch, wie gesagt, von den Damen seine Ruhe haben. Seine Passion, sein Leben war der Gesang. Das zeigte sich sogar jetzt in seinem Urlaub wieder, als er es nicht lassen konnte, ein- oder zweimal in der Woche aufzutreten. Wenn er sang, war er selbst sein hingerissenster eigener Zuhörer, sein größter Bewunderer.
An diesem wunderschönen Morgen des 15. Mai 1975 ließ sich Martinelli von einem Fischer in einem Boot hinaus aufs blaue Meer rudern. Es war ein schlankes, flaches Boot. Die See war ruhig, sonst wäre Martinelli gar nicht erst auf die Idee gekommen, diesen Ausflug zu machen. Er saß bequem, lehnte sich zurück, streckte die Beine weit von sich, schloß die Augen und träumte. Es
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