Das Teufelsweib
und deshalb von dem aufgeregten Sänger nicht bemerkt worden war.
»Signore Martinelli«, sagte sie in der ihr eigenen Art, einer Mischung aus Frechheit und Charme, »ich preise dieses Schiff und das Meer, denen ich es zu verdanken habe, daß ich Ihnen jetzt gegenüberstehe. Meine Bewunderung für Sie kennt schon seit Jahren keine Grenzen. Sie sind der größte Sänger der Welt, ja aller Zeiten. Caruso verblaßt gegen Sie. Mr. McJohn …«, dabei zeigte sie etwas geringschätzig auf den Forscher, »begreift das vielleicht nicht so ganz. Er hat mehr Verständnis für Schlangen und Nashörner und Moskitos, die ihn stechen, damit seine Malaria wieder aufgefrischt wird. Der nächste Anfall läßt sicher nicht lange auf sich warten. Kunstverständnis ist nicht seine Stärke. Deshalb läßt er Sie hier auch in Ihren nassen Sachen möglicherweise noch eine Stunde länger herumstehen …«
Das war stark, es sagte alles. Ein ganzes Programm kam darin zum Ausdruck. Wieder einmal hatte ein Mann bei Manon schon ausgedient, der nächste war an der Reihe.
Und genauso entwickelten sich die Dinge auch.
Manon war eine jener wenigen Frauen, die in Enrico Martinelli noch einmal jenes Feuer entzünden konnten, das eigentlich schon seit langem erloschen war (das Feuer, das Martinellis Landsmännern in den sechziger Jahren vor der ganzen Welt den Ehrentitel ›Papagalli‹ eingetragen hat).
Die Affäre zwischen Manon und Enrico entwickelte sich mit der Rasanz, die zwei solchen Partnern angemessen ist. Sie duldete keinen Aufschub, das empfanden sowohl Manon als auch Enrico. Und wer nichts mehr dagegen tun konnte, war McJohn.
Die drei saßen in McJohns Kabine, nachdem für Martinellis ›Wiederherstellung‹ gesorgt worden war, und delektierten sich an einer Feuerzangenbowle. Der Gastgeber – McJohn – zog nervös an seiner Shagpfeife. Wenn er auch mit Elefanten auf vertrautem Fuße stand, so war er selbst deshalb nicht ebenfalls ein Dickhäuter. Er spürte die Entwicklung, die in der Luft lag, und mit der er nicht einverstanden sein wollte.
»Qualm nicht wie ein Schlot!« forderte ihn Manon auf. »Hier müssen Stimmbänder geschont werden, verstehst du.«
Er klopfte die Pfeife aus und begann, um keinen Boden zu verlieren und sich ins rechte Licht zu rücken, von seinen Erlebnissen auf Feuerland zu erzählen.
Als er aber einmal Atem holte, nutzte Martinelli die Gelegenheit und richtete an Manon die süffisante Zwischenfrage: »Signora, interessieren Sie sich für Feuerland?«
»Nicht im geringsten«, erwiderte sie ohne zu zögern, »mich langweilt das entsetzlich. Viel lieber würde ich …«
Sie brach ab und blickte ihn mit ihren ausdrucksvollen, schwärmerischen Augen an, in denen eine Bitte lag. Sie trug ein tiefausgeschnittenes Sommerkleid, das mehr zeigte, als es verbarg. Martinelli verzehrte sie mit seinen glutvollen Augen.
»Was würden Sie lieber?« fragte er.
»Von Ihnen etwas hören, Signore.«
»Sie meinen, ich sollte singen?«
»Ich würde dafür alles geben.«
Jeder, der Manon kannte, wußte um die Deutlichkeit dieser Antwort. Es fehlte nur ein kleines Wort, das, der Vollständigkeit halber, auch noch am Platze gewesen wäre. Und zwar hätte der Satz lauten müssen: »Ich würde Ihnen dafür alles geben.«
Auf ›Ihnen‹ und auf ›alles‹ lagen da die Akzente.
Martinelli nickte, erhob sich, ging zur Wand, lehnte sich an diese und sagte: »Ich habe einmal in Rio de Janeiro ein Gastspiel gegeben und dort ein Lied entdeckt. Ein altindianisches Lied, das die Eingeborenen heute noch singen. Ich finde es sehr melodisch …«
Leise ansetzend, dann mit dem vollen Schmelz seiner wirklich wunderbaren Stimme singend, bot Enrico Martinelli nun einen seltenen Kunstgenuß. Keine Spur von Erkältung oder sonstiger Beeinträchtigung, die er kurz vorher noch mit so dramatischen Worten an die Wand gemalt hatte, war zu bemerken. Das Belkanto seines Gesanges drang aus dem Raum hinaus und klang über die leise rauschenden Wellen des Meeres hin:
»Unter Blättern singt ein Mädchen,
und es schweigt der große Wald.
Hör, wie ihre Stimme bittet –
Ja, o Schönste, ich komme bald.
Aus den Bäumen tropft der Gummi,
so wie sie blutet mein Herz.
Hätte ich nur tausend Pesos,
zog ich mit dir flüssewärts.
Aber so muß Pedro warten,
Sklave nur, und doch voll Glück,
denn du stehst am Rand der Felder,
kehr ich aus dem Wald zurück …«
Enrico Martinelli verstummte und versenkte seinen Blick lange in denjenigen Manons. Es war
Weitere Kostenlose Bücher