Das Tibetprojekt
Sie ja gleich befreien.« Göritz schwenkte seine MP 7 als Aufforderung, in den Raum zu treten. Durch die endlosen Korridore
weiter oben hörte man eine Explosion und dann sofort Gebrüll und das Getrampel von Kampfstiefeln.
Er will nicht, dass wir ihm zu dem alten Geheimgang folgen, durch den er diese Grabkammern betreten hat und durch den er sie
auch wieder verlässt. Denn die regulären Ausgänge in den höheren Etagen könnte er jetzt schon gar nicht mehr erreichen.
Aber Decker musste noch seine Antwort haben. Er konnte diese einmalige historische Quelle nicht gehen lassen. Noch nicht.
|377| Er musste ihn noch ein letztes Mal in ein Gespräch verwickeln. So eine Gelegenheit kam nie wieder.
Jetzt kam Li Mai ihm zu Hilfe. Sie warf Göritz einen sehr weiblichen, hilflosen Blick zu und sagte: »Aber wer hätte die Macht
gehabt, Mao umzustimmen? Wissen Sie das?«
Das wirkte. Göritz fühlte sich geschmeichelt. Der Gelegenheit, einer schönen Frau mit seiner Allwissenheit zu imponieren,
konnte er nicht widerstehen. Er lachte und sah sie gönnerhaft an: »Es gibt etwas, das alle ideologischen Grenzen überwindet.«
Li Mai sah ihn mit großen Augen an und machte den Mund auf, ohne etwas zu sagen.
»Geld!«, sagte Göritz voller Triumph. »Oder noch besser: Gold. Mao brauchte viel Geld. Wir haben ihm da ein bisschen geholfen.«
Li Mai starrte ihn ungläubig an, und auch Decker staunte nicht schlecht.
Der legendäre Nazi-Schatz. Sie haben ihn! Und sie haben Mao damit etwas abgekauft. Er sollte den Potala-Palast, ihre Hel,
vor der Zerstörung bewahren.
Li Mai war tief aufgewühlt. Das war also das Staatsgeheimnis, von dem ihr Vater immer gewusst hatte.
»So, meine Herrschaften, genug geredet.« Gunther Göritz deutete energisch auf die Tür.
»Aber das ist doch unlogisch«, rief Decker im Gehen. »Der ›Führer‹ war doch längst tot. Wozu sollte das alles noch dienen?«
Dieser Blick von Göritz auf diese banale Bemerkung!
Decker durchlief ein Schauer.
Unheimlich.
Der S S-Mann schürzte die Lippen. Für den Bruchteil |378| einer Sekunde sah es so aus, als wollte er sie womöglich doch noch erschießen.
Oder ihnen sagen, dass sie sich irrten.
Dass Hitler keineswegs tot war.
Was hatten sie da für ein Geheimnis berührt?
Noch während Decker den Gedanken verscheuchte, fing der Killer sich wieder.
»Unsere Zeit wird kommen«, sagte er. Und dann fing er schauerlich an zu lachen.
Decker überkam ein grauenhaftes Gefühl. Was sollte das heißen?
»Genug geredet. Vorwärts! Rein da!« Göritz wartete, bis beide in den Kerker gegangen waren. »Bis zur Wand!«, rief er. Dort
erlaubte er den beiden, sich zu ihm umzudrehen. In einer einzigen perfekt einstudierten Bewegung nahm er Haltung an, knallte
die Hacken zusammen, hob den rechten Arm und brüllte: »Heil Hitler!«
Damit schlug er die Tür zu und verschwand in Richtung der Grabkammern. Li Mai stand reglos und aufrecht da. Decker sammelte
sich noch. Das war kein Spielfilm. Das war echt. Auch der Hitlergruß. Er kam sich wie in einer Zeitreise vor.
Für einen Moment wusste er nicht, ob er träumte oder wach war. In jedem Fall war der Spuk vorbei.
War er das denn wirklich?
Die sonderbaren letzten Worte von Göritz gingen Decker nicht aus dem Kopf.
Nach einigen Minuten hörten sie das Gebrüll und die Schritte ihrer Befreier. Sie waren jetzt schon ganz nahe. Decker sah Li
Mai voller Erleichterung an.
Er musste jetzt sogar lachen über die Ironie der Geschichte |379| : »Wer hätte gedacht, dass mich mal ein S S-Killer vor einem buddhistischen Mönch retten würde?«
Tang Wu und seine Männer stürmten die Kerkerkammer und rissen die verschlossene Tür auf. Die roten Laserstrahlen ihrer Zielsucher
schwenkten in der Dunkelheit aufgeregt hin und her. »Ist sonst niemand hier?«, rief Tang Wu.
»Schön, euch zu sehen«, sagte Li Mai. «Gebt euch keine Mühe. Hier ist niemand außer uns.«
Tang Wu trat ein und sah sich misstrauisch um.
Und hier war natürlich auch niemand, nicht wahr?Der tote Mönch da draußen hat euch eingesperrt
.
Hab ich recht?
Li Mai schwieg. Es war besser, wenn Tang nichts von Göritz erfuhr.
Tang Wu bedrängte sie auch nicht weiter. Manche Dinge wusste man besser nicht.
»Sie sind unsere Rettung. Danke, Tang Wu.« Li Mai drehte ihren Kopf zu ihrem Vorgesetzten um. »Aber wer hat Sie gerufen?«
Der Chef des Geheimdienstes lächelte und schwieg. Auch seine prominente Untergebene brauchte nicht alles
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