Das Tibetprojekt
Rüstungswahnsinn und
ihren überstürzten »Reformen« zerstört hatten.
Viel geschickter.
Und sein Plan gehörte dazu. Er hatte die beste Agentin Chinas dafür ausgewählt. Sie war ihr Leben lang und unter seiner persönlichen
Anleitung für eine solche Mission ausgebildet worden. Sie kannte als einzige die ganze Wahrheit, denn nur ihr konnte er vertrauen
auf dem Schlachtfeld der Diplomatie.
Er schaute sich um, als ob ihn jemand beobachten würde oder seine Gedanken lesen könnte. Dann lächelte er wieder
. Ich werde mich in der Geschichte Chinas verewigen. Und wer hätte gedacht, dass ausgerechnet der Dalai Lama mir dabei nützlich
sein würde?
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Decker schlenderte durch die Reihen der Gäste. Der Presseball war eines der großen gesellschaftlichen Ereignisse des Landes.
Er ging davon unbeeindruckt an die Bar, bestellte sich einen Drink und drehte sich zum Saal hin um. Er schmunzelte bei dem
Gedanken an den Gesichtsausdruck der Polizisten, als er vorgefahren war. Erstaunt hatten sie auf den sonderbaren Wagen gestarrt,
der plötzlich aus der langsam fahrenden Kolonne der üblichen schwarz lackierten Nobelkarossen aufgetaucht war.
Ein alter Freund kam auf Decker zu. »Hey, Dottore«, begrüßte er ihn, »schön, dass du meine Einladung angenommen hast. Wie
ich höre, fährst du immer noch diesen abscheulichen Panzer.«
Decker lachte. »Hallo, Thomas. Gut, dich zu sehen.«
Die beiden verband eine lange Männerfreundschaft. Der Journalist bestellte sich ebenfalls einen Drink und sah mit Decker den
Leuten zu: »Ist nicht die High Society von New York oder Paris hier, hm?«
»Nicht ganz.«
Sie stießen an.
»Hab dich gestern in der Show gesehen. Wer ist eigentlich dein Schneider?« Der Journalist trank einen Schluck und fuhr fort.
»Hat mir aber auch sonst gut gefallen. |47| Aber es war wie beim letzten Mal – das ist kein Thema für einen Abend.«
Decker nickte. »Ich weiß. Zu komplex. Zu neu. Aber ich freue mich schon, wenn nur einer im Publikum sitzt, der dadurch einen
Denkanstoß erfährt und vielleicht selbst mal ein Buch in die Hand nimmt.«
»Idealist.«
»Vielleicht.«
»Die Leute wollen nichts Ungewohntes. Glaub einem alten Hasen. Am Anfang dachte ich auch noch, die Welt wartet auf Erklärungen.
Vergiss es, mein Freund.«
»Ich bin sicher, es war nicht ganz umsonst. Cheers.«
»Cheers. Auf so einer Provinzparty kann man sich ja nur besaufen.«
»Das machen Journalisten doch überall.«
Sie musterten eine Weile die Gäste. Irgendwo sahen sie auch den neuen Bundeskanzler und seinen Außenminister mit Begleitung
vorbeiziehen. »Die müssen in ein paar Tagen nach Peking. Ist ’ne große Sache mit ’nem riesigen Aufgebot«, erklärte der Journalist.
»Interessiert mich nicht«, murmelte Decker.
Der Redakteur wollte gerade anfangen, den neuesten Tratsch zu erzählen, als sich eine schlanke Asiatin in einem dunkelgrünen
Seidenkleid aus der Menge löste und auf sie zu kam. Dem Redakteur verschlug es die Sprache. Sie hätte ein Fotomodell sein
können. Aber ihr Gang, ihre Augen und ihre Gesichtszüge verrieten ein anderes Selbstbewusstsein. Der geübte Journalist erkannte
sofort, dass sie auf anderen Brettern groß geworden war als dem Catwalk.
Decker erkannte sie sofort wieder.
Na, so ein Zufall
.
Sie stand jetzt vor den beiden Männern und blickte sie einen Moment lang an. Unverschämt selbstsicher.
|48| »Herr Dr. Decker?«, sagte sie mit ruhiger und verführerischer Stimme.
»Sie waren gestern die Zuschauerin mit der Zwischenfrage, richtig?«, fragte er. Decker und sein Freund waren erneut von ihrer
Erscheinung gefesselt.
»Ja, Sie haben recht.« Sie machte eine kurze Pause und stellte sich vor. »Ich bin Li Mai. Kulturattaché der chinesischen Botschaft.«
Damit drehte sie sich zu dem Redakteur und sagte: »Sie müssen Thomas Reiter sein. Ich habe Ihren Artikel im
Spiegel
über das bevorstehende deutsch-chinesische Gipfeltreffen in Peking gelesen. Sehr interessante Einschätzung und Prognose.«
Der Journalist nickte ihr wortlos zur Begrüßung zu. Er war ebenfalls fasziniert von ihr. Sie strahlte Kultiviertheit aus –
und einen Hauch von Verwegenheit. Definitiv kein Model. »Teilen Sie meine Ansichten?«
»Warten wir das Ergebnis ab.« Damit wandte sie sich wieder Decker zu. Aber der Journalist wurde hellhörig. Er hatte in seinem
Leben schon häufiger Diplomaten interviewt. Sie wissen viel und reden nicht darüber.
Aber sie lieben
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