Das Tibetprojekt
darin, den Widerstand der Gegner
zu brechen, ohne zu kämpfen.
Das hatten die Chinesen gerade zeitgemäß und in Vollendung vorgeführt. Decker konnte nicht umhin, eine gewisse Bewunderung
für sie zu empfinden. Die alten Strategen waren am Werk gewesen und hatten für ihr Land einen historischen Sieg errungen.
Auf Jahrzehnte hinaus.
Als sich der Schock langsam löste, ärgerte sich Decker über sich selbst. Der Botschafter hatte das Gipfeltreffen ja gleich
beim ersten Gespräch im
Inside
erwähnt. Aber Decker hatte es nicht in Zusammenhang mit seinem Auftrag gebracht.
Aber hätte ich es denn ahnen können?
Dann fiel ihm noch etwas ein.
Ich habe Peking die
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Mittel gegeben, die Bundesregierung und die deutsche Großindustrie dezent zu erpressen. Ich hoffe nur, mein Name taucht nirgendwo
auf, sonst kann ich Deutschland verlassen.
Vielleicht war das der Zeitpunkt für einen Lehrstuhl in China? Der Präsident hatte es offensichtlich vorausgesehen und ihm
ein Schlupfloch gelassen. Und Li Mai hatte es auf ihre Art vorbereitet. Er sah auf das Buch der Wandlungen.
Dann dachte er an das Konto. Was stand auf dem Spiel?
Das Ansehen des größten Volkes der Welt. Investitionen in Milliardenhöhe.
Was war wohl eine angemessene Vergütung in so einem Fall?
Decker griff zum Telefon.
Mal sehen
.
Es dauerte nicht lange, und die Stimme eines Bankiers drang an sein Ohr. In angenehmem Französisch. Sehr diskret. Kein Small
Talk. Decker erkundigte sich nach dem Kontostand.
Der Bankier schwieg.
Decker wurde unruhig.
Dann sagte der Schweizer mit sonderbarem Erstaunen für einen Bankier dieser Liga: »Monsieur, hatten Sie vor, sich mit einer
eigenen Position in der Außenhandelsbilanz der chinesischen Volksrepublik zu verewigen?«
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte Decker, der sich auf diesen Kommentar keinen Reim machen konnte.
»Sie wissen, dass wir uns nicht dafür interessieren, wie unsere Kunden ihr Geld verdienen. Aber in Ihrem Fall gestatten Sie
eine Frage?«
»Ja, bitte?«
»Haben Sie vielleicht einen der DA X-Konzerne an China verkauft?«
|396| »So etwas in der Art, glaube ich«, sagte Decker und holte tief Luft.
»Nun, solche Summen werden selbst bei uns nicht jeden Tag eingezahlt.«
»Können Sie mir nicht einfach den Kontostand sagen?«
Der Bankier nannte den Betrag. Decker fiel der Hörer aus der Hand.
Er erhob sich halb taumelnd und gönnte sich noch einen Whisky. Das Aroma der Highlands und des Atlantiks stiegen aus dem Glas
auf und umnebelten angenehm seine Sinne. Dann stand er nur da. Er fühlte sich ein bisschen wie Faust, der um der Erkenntnis
willen einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte. Nur hatte Decker nicht seine Seele verkauft. Oder doch irgendwie?
Sei’s drum. Der Besuch in der Hölle von Tibet hatte sich jedenfalls gelohnt. Und wie!
Er gönnte sich noch ein Glas. Dann legte er AC/DC ein, hörte das Gejubel im Hintergrund und den Klang der Gitarren. Er sog
es in sich auf und bekam eine Gänsehaut. Als Bon Scott zu singen anfing, überwältigte ihn ein irres Triumphgefühl. Er drehte
voll auf und grölte laut mit:
»Hell ain’t a bad place to be ...«
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Einen Tag später saß Decker in Erinnerungen versunken vor seinem Kamin, blickte in die Flammen und in sein Glas. Plötzlich
spürte er Vibrationen. Es bildeten sich winzige Wellen auf dem Whisky.
Was ist denn jetzt los?
Dann hörte er die typischen Geräusche eines Helikopters. Gedämpft durch die dicken Scheiben des Hochhauses. Aber eindeutig
ganz aus der Nähe. Er blickte suchend aus dem Fenster. Das konnte nicht sein.
Doch dann sah er die Maschine an der anderen Seite des Raumes, direkt vor dem Fenster! Und er kannte auch die Pilotin. Li
Mai winkte ihm zu und deutete nach oben. Dann stieg die Maschine hoch und verschwand. Decker rannte ins Treppenhaus und über
die Versorgungstür auf das Dach. Sie wird doch nicht ...?
Li Mai setzte sanft auf dem Deck auf und nahm den Helm ab. Decker half ihr aus dem Cockpit. Sie sah atemberaubend aus und
ihr Kleid war höchst elegant. Unter dem linken Arm trug sie eine kleine Holzkiste. Sie legte Decker die Hand auf die Schulter
und küsste ihn zur Begrüßung.
Er nahm ihr die Kiste ab und hob eine Augenbraue. »War unten nichts frei oder klappt’s bei euch Frauen einfach nicht mit dem
Einparken?«
Sie zeigte ihm den schönsten Mittelfinger, den er je gesehen |398| hatte. Dann blickte sie zum Helikopter.
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