Das Tier
dauernd recht hatte.
Trotzdem , murrte er still bei sich. Thars sollte sich mit ihm beschäftigen. Es war derart herrlich gewesen, mit ihm im Garten über dem Kochbuch zu sitzen und aus seltsamen Krakeln Wörter zu bilden. Da wurde selbst aus einem Hefeteig eine spannende Sache. Er hätte gerne noch mehr an diesem Abend gelernt. Warum nur hatte Brudfor diesen verdammten Dieb geschickt, um zu stören? Jetzt konnte er immer noch nicht seinen Namen schreiben. Hoffentlich vergaß er wenigstens nicht die Buchstaben und Wörter, die Thars ihm gezeigt hatte.
Er erreichte den hohen, eisernen Zaun, der das Kirchenareal umgab und drückte das leise quietschende Tor auf. Da die Messe vorbei war, waren alle Gottesfürchtigen inzwischen nach Hause gegangen. Zudem dämmerte es mittlerweile, als er über den Sandweg lief, der durch eine Rasenfläche führte und sich hinter dem heiligen Bau zu einem Friedhof erweiterte. Cyrian schob auch die schwere Kirchentür auf und trat in das Innere. Der süßliche Geruch nach Weihrauch empfing ihn zusammen mit der etwas unangenehmen Kälte, die in jeder Kirche herrschte. Ohne einen Blick an die schönen bunten Fenster oder den kunstvoll gestalteten Statuten der Heiligen, die den Gang bis zum Altar säumten, zu verschwenden, hastete er nach rechts, wo sich der Aufgang zur Empore befand. Hier hatte er vor langer Zeit einmal durch einen Zufall entdeckt, dass es unter der Treppe eine wackelnde Bodenplatte gab. Eigentlich hätte er dem aufdringlichen Messdiener dafür danken müssen, denn ein besseres Versteck für sein Geld gab es nicht. Eines späten Abends hatte er sich daher in die Kirche geschlichen und es war ihm gelungen, diese Bodenplatte zu lösen. Darunter hatte er dann seine Schätze versteckt. Wo sollten seine kostbaren Münzen auch sicherer aufgehoben sein, als direkt unter Brudfors Augen?
Cyrian rutschte unter die Treppe und hob die Platte an. Ein rascher Griff und der schmale Beutel mit dem klingelnden Geld lag in seiner Hand. Er grinste zufrieden, als er das Gewicht der Münzen spürte. Sogfältig fügte er die Bodenplatte wieder ein und krabbelte aus dem dunklen Winkel hervor. Er wischte sich den Staub von den Hosenbeinen und schaute finster zu dem Altar hinüber.
„Wenn du denkst, du bekommst jetzt diese mühsam erarbeiteten Münzen, hast du dich gewaltig geirrt, Brudfor“, sagte er leise. „Scheiß auf unsere Vereinbarung. Es war nicht abgemacht, dass du einen Einbrecher in die Grüne Villa schickst und Thars dadurch zum Tier wird. Was glaubst du eigentlich, welche Mühe ich hatte, damit er Marwin nicht auch noch tötet?“
Natürlich erhielt er keine Antwort.
„Warum kann man sich nicht einmal auf dich verlassen? Was für ein Gott bist du eigentlich? Ist klar, dass du diese Frage ebenfalls ignorierst. Sicherlich bist du viel zu sehr damit beschäftigt, durch deine himmlischen Gefilde zu tanzen, als dich für meine Probleme zu interessieren.“
Mit einem Schnaufen wandte er sich ab, stopfte den Beutel in die Hosentasche und verließ die Kirche.
Das Tor hatte er gerade erreicht, als er die drei uniformierten Männer bemerkte, die auf dem Gehweg unter einer Gaslaterne standen und sich soeben Zigarren anstecken wollten. Einer von ihnen war der Stadtwächter, der ihn aus der Rotenbachstraße entführt hatte. Das Gesicht würde er nie vergessen. Verstohlen versuchte sich Cyrian unauffällig in die Schatten zurückzuziehen. Zu spät! Sie hatten ihn entdeckt.
„Den Bengel kenn … Schnappt ihn euch!“, brüllte der Gardist, warf seine Zigarre fort und stürmte als Erster durch das Tor. Cyrian fuhr herum und rannte zur Kirche zurück. Gerade noch rechtzeitig fiel ihm ein, dass er in der Kirche in der Falle sitzen würde, daher flitzte er an dem Gebäude vorbei. Vielleicht konnte er sich auf dem Friedhof verbergen oder fand eine Lücke im Zaun.
„Stehenbleiben!“, donnerte es hinter ihm. Er dachte gar nicht daran, diesem Befehl nachzukommen. Die Folgen konnte er sich lebhaft ausmalen. Wie ein Blitz sauste er zwischen die Grabsteine, schlängelte sich zwischen Kreuzen, Engeln und schlichten Stelen hindurch, stolperte über einen frisch aufgeschütteten Hügel und trat beinahe in eine daneben liegende vergessene Schaufel. Mühsam fand er sein Gleichgewicht wieder und fühlte dabei, wie ihm sein Münzbeutel aus der Tasche rutschte. Verdammt! Reflexartig wollte er sich nach seinem kostbaren Schatz bücken, doch dann rannte er mit einem weiteren leisen Fluch weiter. Die
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