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Das Tier

Das Tier

Titel: Das Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt , Sandra Busch
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    „Doktor Lerome!“
    Mutlos schloss Cyrian bei Marwins erschrockenem Ausruf die Lider. Der Doktor war zurück und mit ihm die gesamte Dienerschaft …

    Lerome erfasste die Lage mit einem Blick. Das Tier hatte einen Mord verhindert, indem es dem Täter zuvorgekommen war. Er kannte das Opfer – Varis Dasgarplatz war sein Name gewesen, einer seiner Patienten, der sich von seiner Laudanum-Sucht nicht lösen konnte. Was sollte er jetzt bloß tun?
    „Das Tier war es“, flüsterte Marwin. Leider viel zu laut. Die gesammelte Dienerschaft, die in der Halle umherstand und sich den Hals verrenkte, um sehen zu können, was da vor sich ging, begann zu tuscheln. „Das Tier, jaja … Ist da durch die Wand, hat den Kerl dort umgebracht. Thars hat versucht, den Jungen zu schützen. Das Tier hat mich angeschaut, ich dachte, mein letztes Stündlein hat geschlagen. Und plötzlich war es weg. Einfach so – weg.“
    Thars, Cyrian und Lerome starrten ihn mit offenen Mündern an. Ausdruckslos starrte Marwin zurück. Und Lerome verstand.
    Er hatte Marwin vor sechs Jahren kennen gelernt, als dieser ihn nachts verzweifelt zu Hilfe gerufen hatte. In dem Haus hatten drei Leichen gelegen: Marwins Frau, seine kleine Tochter und seine Schwiegermutter. Seine Frau war volltrunken mit ihrer Mutter in Streit geraten und hatte sie niedergeschlagen. Dann war sie mit dem Messer auf das Kind los, das von dem Lärm geweckt dazu gekommen war und vermutlich geheult hatte. Als Marwin sie fand, hatte seine Frau ihm alles erzählt und ihn angefleht, die Leichen zu beseitigen. Stattdessen hatte er sie zu Tode gewürgt, außer sich über den Verlust seines Kindes. Es war keine Notwehr gewesen und auch keine Tat, um andere zu beschützen. Und trotzdem hatte Lerome es nicht fertig gebracht, diesen Mann zu verdammen, der kein kaltblütiger Mörder war, sondern alles verloren hatte, was er liebte.
    Vor Gericht hatte Lerome es als Notwehr gegen die volltrunkene Ehefrau dargestellt, man hatte ihm geglaubt. Schließlich war sie als Trinkerin mit schweren Wutausbrüchen bekannt.
    Seitdem wohnte Marwin bei ihnen und war eine wertvolle Hilfe für Lerome geworden, indem er bei Operationen assistierte, sich um die Kranken kümmerte, die eine Weile in der Grünen Villa blieben und überall mitanpackte, wo Muskelkraft gefragt war. Vermutlich hatte das Tier gewittert, dass dieser Mann einmal gemordet hatte. Ein Mann, auf den Lerome große Stücke hielt, der stets fleißig und rührend um das Wohl der Patienten bemüht war. Dass Marwin noch lebte, bewies die Richtigkeit von Leromes damaliger Entscheidung … Und seinem Vertrauen darin, dass Thars von Beschützerinstinkten statt Blutgier geleitet wurde, wenn der Zorn über ihn kam. Jetzt mussten sie nur noch mit dem Chaos fertig werden, das vom Tier angerichtet worden war, dann wurde vielleicht alles wieder gut …

Cyrian trottete durch Hockenbrucks Straßen. Während seine Füße die Richtung zur Kirche einschlugen, verweilten seine Gedanken bei dem Tohuwabohu, das noch bis zu seinem Aufbruch in der Grünen Villa geherrscht hatte. Das Loch in der Küchenmauer war provisorisch mit Brettern vernagelt worden. Der Doktor wollte sich gleich morgen um Handwerksleute kümmern, die den Schaden beheben sollten. Die Leiche würde von der Stadtgarde abgeholt und den Wächtern eine wilde Geschichte von einem Überfall des Tiers berichtet werden. Thars war derweilen in seinem Zimmer verschwunden, zusammen mit Marwin und Melva, die wegen des Vorfalls sehr erschrocken war. Was geschehen würde, falls sie von Thars’ zweiter Persönlichkeit erfuhr, konnte sich Cyrian nicht vorstellen. Aber er hoffte, dass es in ihrem gutmütigen Herzen auch ein Plätzchen für Thars geben würde.
    Er jedenfalls hatte sich davongestohlen, ehe die Garde eintraf. Von diesen Leuten wollte er keinem über den Weg laufen, nicht, dass sich nachher unter den Wächtern ein bekanntes Gesicht befand.
    Er hatte niemanden Bescheid gegeben, dass er die Villa verließ. Alle waren in viel zu heller Aufregung gewesen, als dass sie sich mit seiner Wenigkeit hätten beschäftigen wollen. Selbst Thars hatte ihn links liegen lassen und stattdessen ständig Marwin angestarrt, als wäre der ein Schwein mit drei Ringelschwänzen.
    Mich hätte er ansehen soll. Mich!, dachte Cyrian gnatzig.
    Er hat dich vor diesen Fremden beschützt. Diese ganze Aktion war nur wegen dir, ermahnte ihn eine innere Stimme, eine, auf die er noch nie einen Einfluss hatte. Die blöderweise

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