Das Tier
wollte.
„Hallo?“
„Weg hier“, raunte einer der Wächter. „Wir kriegen die Ratte später.“
Cyrian wurde noch mit einem gemeinen Tritt bedacht, dann hörte er die Männer davonlaufen. Ächzend hob er den Kopf. Sein ganzer Körper schmerzte. Er streckte die Hand nach seinem zerrissenen Hemd aus, das neben ihm lag, raffte es an sich und kroch angestrengt hinter einen Grabstein. Dem Pater würde er ebenfalls unangenehme Fragen beantworten müssen und das wollte er unbedingt vermeiden. Der Mann hatte ihn schon einmal verdächtigt, in den Klingelbeutel gegriffen zu haben und hatte ihm eine Tracht Prügel verabreicht, damit er das Diebesgut herausrückte. Seinen gestammelten Worten, dass es der Tuchhändler gewesen sei, der gestohlen hatte, hatte der Pater natürlich nicht geglaubt. Tuchhändler stibitzten nicht, Gossenkinder schon. Da brauchte er nun gar nicht erst den Versuch starten, ihm zu erklären, dass er sein Erspartes hier verborgen und nun auch noch verloren hatte.
Lautlos weinend krümmte er sich neben dem Grabstein zusammen.
„Hallo?“ Der Pater näherte sich mit einer Laterne in der Hand, schwenkte das Licht mal nach rechts und mal nach links. Ein paar Schritte neben Cyrians Versteck blieb der Pater stehen.
„Ich dulde keine Trunkenbolde auf dem Gottesacker“, rief er. „Trunkenheit ist eine Sünde. Verschwindet und schlaft euren Rausch aus.“ Eine Weile blieb er noch still mit erhobener Laterne stehen und lauschte.
„Nichts mehr zu hören. Sie werden wohl weg sein. So einen Lärm auf dem Friedhof zu veranstalten, nee, nee, und die Ruhe der Toten stören.“ Verhalten schimpfend verschwand der Pater zwischen den Grabstätten.
Erst eine halbe Stunde später regte sich Cyrian mühsam.
„Wie in den guten alten Zeiten“, murmelte er kläglich, „als Mutter – Brudfor hab sie selig – noch den Stock geschwungen hat.“
Er brauchte etwas Zeit, bis er sich die Reste seines Hemdes übergezogen hatte und stemmte sich danach ächzend in die Höhe.
„Was für ein beschissener Tag.“ Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Wenigstens das war von dem Gürtel nicht getroffen worden. Cyrian taumelte zu dem Grab zurück, über das er beinahe gefallen war. Auf Händen und Knien begann er verzweifelt nach seinem verlorenen Geldbeutel zu suchen. Er durfte nicht verschwunden sein! Es war doch seine ganze Habe gewesen. Wenngleich kein Vermögen, so hatte er dafür oftmals gehungert und gefroren, um nur kein Geld für Lebensmittel oder Kohlen auszugeben. Eine endlos lange Stunde verbachte er damit, erfolglos im Dreck zu wühlen, während ihn stille Verzweiflung erfasste.
„Erst der Einbrecher, dann hat Thars beinahe Marwin umgebracht, meine Münzen sind futsch und ich habe die Prügel meines Lebens kassiert.“ Lautstark zog er Rotz die Nase empor und versuchte halbherzig Erde von seiner Kleidung zu wischen. Nicht, dass diese Bemühungen seine Erscheinung verbesserten … Dunkle Flecken, die sich auf seinem einst weißen Hemd zeigten, deuteten darauf hin, dass mehrere der Striemen bluteten.
Ich wünschte, ich hätte etwas von dem Mittel, das Thars in ein Tier verwandelt hat, ging es ihm plötzlich durch den Kopf, als er schlurfend den Heimweg antrat . Ich wünschte, ich hätte etwas von dem Mittel … Ich wünschte, ich hätte das Mittel …
Endlich ließen sie ihn allein. Thars sank auf sein Bett nieder. Nachdem Melva von ihrem Gatten ein Beruhigungsmittel aufgenötigt bekommen und sich zurückgezogen hatte, waren Marwin und Doktor Lerome bei ihm geblieben. Minutenlang hatten sie sich unbehaglich angeschwiegen, bevor Marwin sich schließlich räusperte und sagte:
„Ich hatte es schon vorher geahnt. Das verlotterte Aussehen eines Bettlers, obwohl er viel zu kräftig dafür ist, die bleiche Haut, die monatelang keine Sonne gesehen hat, die Schusswunde, der Junge …“
Lerome hatte es übernommen zu erklären, was Thars genau war, wobei er die spezielleren Details ausließ, wie er sich verwandelt hatte. Es wäre unklug, den Namen der Geheimbruderschaft bekannt werden zu lassen, für den Fall, dass sich jemand bedrängt fühlen sollte, der die Mittel besaß, sich dagegen zu wehren. Es folgten heilige Eide, Thars nicht zu enttarnen – er wusste, dass Marwin sich daran halten würde. Dafür hatte dieser Mann selbst zu viel zu verbergen. Doktor Lerome hatte herumgerätselt, wie es Cyrian gelungen war, mit seinem Gesang zu Thars durchzudringen. Jetzt waren sie endlich fort.
Wo Cyrian sich
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