Das Titanic-Attentat
selben Ort und in derselben Situation gestorben sind – weder in der Kabine noch in Stühlen auf dem Deck.
Die
Titanic
-Katastrophe richtete ein regelrechtes »Massaker« unter den Reichsten Amerikas an. Zumindest war die Backbordseite ihres Bootsdecks, die vor allem Morgan-Freund Kapitän Smith und Charles Lightoller kontrollierten, für sie äußerst ungesund. Während an der Steuerbordseite viele vollzählige Familien in die Boote kamen, war der Nächste, der an Backbord seine Frau abliefern durfte (Rettungsboot Nr. 4), um anschließend zusammen mit seinem Sohn zu sterben, George D. Widener, der viertreichste Mann an Bord. Widener war der Sohn des schwerreichen Transport- und Straßenbahn-Tycoons Peter Arell Brown Widener, Geschäftspartner von J. P. Morgan in dessen Schifffahrtskonzern IMM und Mitbegründer des Stahlkonzerns U. S. Steel. Ein weiterer Tycoon, dessen Frau an der Backbordseite einen Platz im Rettungsboot fand, der selbst jedoch sterben musste, war John Borland Thayer, Vizepräsident der Pennsylvania Railroad. Weitere einflussreiche Männer, die bei der Katastrophe ums Leben kamen, waren der Präsidentenberater Major Archibald Butt, Howard Brown Case (Direktor der Vacuum Oil Company), Börsenmakler Clarence Moore und andere. Oder um es anders zu sagen: Selten dürften so wenige unwichtige Männer (wie die Offiziere der
Titanic)
so viele wichtige Männer auf einmal befehligt und auf dem Gewissen gehabt haben.
Die wundersame Rettung des Charles Herbert L.
In der
Titanic
-Literatur wird der Offizier Charles Herbert Lightoller als Held und als disziplinierter Mann gefeiert, der streng seine Befehle oder auch nur seine Auffassung von Ritterlichkeit durchsetzte. Wobei der Held (»hero«) in der neueren amerikanischen »tragedy« oft genauso falsch ist wie die »tragedy« selbst. Denn schließlich besteht die gesamte amerikanische Begrifflichkeit im Grunde nur aus Abziehbildern der traditionellen europäischen Begriffe: »Love« ist nicht zu verwechseln mit »Liebe«, »character« ist nicht zu verwechseln mit »Charakter«, und »tragedy« ist eben nicht zu verwechseln mit »Tragödie«. Eine Phalanx aus toten und lebendigen »heroes« ist jedoch wichtig, um den Mythos der »tragedy« psychologisch abzuriegeln und zu schützen. Wer traut sich schon, Helden zu kritisieren – zumal dann, wenn sie selbst ums Leben kamen?
Aber machen wir doch die Gegenprobe: Was wurde denn aus dem edlen Helden Lightoller? Verfuhr er mit sich selbst genauso gnadenlos wie mit den anderen Männern und seinem Opfer John Jacob Astor? Gab Lightoller sein Leben für eine Frau? Wie kam es überhaupt, dass Lightoller vor den Untersuchungskommissionen aussagen konnte? Wenn Lightoller wirklich »nur Frauen und Kinder« an Bord der Rettungsboote lassen wollte, wie hat er dann selbst überlebt?
Nun, erzählte Lightoller, das war natürlich reiner Zufall. Dass er, nachdem er so viele Männer geopfert hatte, einfach ein Rettungsboot bestieg und davonfuhr, konnte er ja schlecht sagen. Stattdessen erzählte er eine abenteuerliche Geschichte. Demnach sei er, als das Schiff unter seinen Füßen gesunken sei, in der Nähe des vorderen Schornsteins einfach ins Wasser gelaufen. Womit der Vorstellung entgegengewirkt wird, Lightoller sei trockenen Fußes einfach in ein Boot gestiegen.
Neben dem vorderen Schornstein lagen auf dem Dach der Offizierskabinen gleich hinter der Brücke allerdings die beiden Klappboote A und B. Da sie auf dem Dach der Offizierskabinen waren, befanden sie sich also in Griffweite der Offiziere und waren demnach von Anfang an für die Offiziere reserviert gewesen. Es waren die einzigen Boote, die sich nicht an den Davits befanden, sondern auf Ständern aufrecht auf dem Dach standen. Bewegt werden konnten sie mit einem Flaschenzugsystem, das nur einen kleinen Schönheitsfehler hatte, nämlich den, dass es an Bord der Titanic gar nicht vorhanden war: »Obwohl ich ein solches Flaschenzugsystem an Bord der
Olympic
gesehen habe«, schreibt der
Titanic
-Experte Dan Cherry, »habe ich es nicht ein einziges Mal auf einem
Titanic
-Foto gesehen«. Nur die Vorrichtungen dafür habe man sehen können. [206] Hm – wieso waren die Boote dann nachweislich bei der
Titanic
-Katastrophe vorhanden? Darauf komme ich noch. Fest steht jedenfalls, dass uns der Zweite Offizier Lightoller weismachen will, er sei auf dem Dach der Offizierskabinen neben einem der Offiziersboote lieber ins eiskalte Wasser gegangen, als
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