Das Titanic-Attentat
setzte sich an sein Morsegerät und übersetzte die Buchstaben des Telegramms in kurze und längere Pieptöne. Diese Signale wurden übertragen und vom Funker der Gegenstelle (in diesem Fall der
Titanic
) wieder zurückübersetzt und auf ein Telegrammformular gekritzelt. Da das ursprüngliche Formular die sendende Station dabei natürlich nicht verlassen hatte, konnte es aufgehoben werden und blieb so erhalten. Wahrscheinlich wurden diese Funksprüche sogar in ein Funklog eingetragen.
Und schließlich wurden Funksprüche ja auch von Dritten aufgefangen. Daher waren die per Funk übertragenen Eiswarnungen an die
Titanic
sehr gut dokumentiert. Noch heute kann man die Originale als Faksimile im Internet finden. Die auf der
Titanic
eingetroffenen Eiswarnungen des 14. April 1912 habe ich weiter unten nach ihrer wahrscheinlichsten Reihenfolge durchnumeriert. Ganz genau kann man es nicht wissen, da in Bezug auf die Zeitangaben ein gewisses Durcheinander herrschte.
Wie es bei einer Atlantikreise in der Natur der Sache liegt, hatten sowohl der Abfahrts- und der Ankunftsort der
Titanic
als auch die einzelnen Schiffspositionen jeweils ihre eigene Zeit. Auf ihrer Reise über den Atlantik mussten die Schiffe ihre Uhren zwar zu genau vorgegebenen Zeitpunkten umstellen, aber die Auseinandersetzung mit den Angaben zeigt, dass im Nachhinein selbst die Besatzungen und ausgebuffte Navigatoren bei der Rekonstruktion der Reihenfolge der Eiswarnungen durcheinanderkamen. Und das Problem ist ja, dass sämtliche Logbücher und Unterlagen der
Titanic
weg waren, also auch die eingegangenen Eiswarnungen. Daher muss man deren Reihenfolge aus den Unterlagen der sendenden Festland- oder Schiffsstationen rekonstruieren, die jedoch meistens in anderen Zeitzonen lagen.
Da wir (und damals natürlich auch die
Titanic
) aber den Vorzug genießen, regelrecht in Eiswarnungen zu schwimmen, dürfen wir großzügig sein und die ganz genaue Reihenfolge kommenden Doktorarbeiten überlassen. Entscheidend sind die grobe Reihenfolge und die Tatsache, dass alle diese Eiswarnungen rechtzeitig vor der Katastrophe auf der
Titanic
eintrafen.
Weil dies in diesem Kontext wichtig ist, noch ein kurzes Wort zu den Koordinaten. Bekanntlich kann man jeden Ort auf dem Erdball durch seine geografischen Koordinaten definieren. Das Seegebiet, um das es geht, befindet sich nördlich des Äquators (also auf nördlicher Breite; n.B. oder einfach N) und westlich des Nullmeridians von Greenwich, also auf westlicher Länge (w.L. oder einfach W). Sofern die Positionsbestimmung genau genug ist, kann man die Koordinaten in Grad, Minuten und Sekunden angeben, zum Beispiel 41º 43' 55'' N und 49º 56' 45'' W. Oder man kann nach der Gradangabe ein Komma (deutsch) oder einen Punkt (international) setzen und statt der Minuten und Sekunden einen Dezimalwert angeben. 49 Grad und 30 Minuten West wären dann 49.5 Grad West. Daraus wird dann ein minimalistisches System, bei dem sich Länge und Breite nur aus der Reihenfolge der Zahlen und einem Minus- oder Pluswert ergeben. Die oben angegebene Wrackposition der
Titanic
läse sich dann zum Beispiel so: 41.731944, -49.945833. Der erste Wert ist dabei die nördliche Breite, der zweite Wert die westliche Länge (Minuszeichen).
La Touraine:
»An Kapitän,
Titanic
«
Fangen wir also mit der ersten Eiswarnung an. Wie ich schon sagte, reihten sich die Handels- und Passagierschiffe auf der Nordatlantikroute wie Perlen auf einer Kette auf. Deshalb befand sich praktisch jedes Schiff in der komfortablen Lage, dass andere Schiffe bereits vorausgefahren, die Lage quasi »sondiert« hatten und ihre Erkenntnisse wie ein »Staumelder« auf der Autobahn per Funk an die nachfolgenden Schiffe weitergeben konnten. Und natürlich gab es auch Eiswarnungen von entgegenkommenden Schiffen.
Nachdem der Kapitän der
Titanic
bereits vor der Abfahrt über die Eissituation auf der Strecke »gebrieft« worden war, ging es auf See weiter. Die bei der Annäherung an die grönländische »Eisfahne« eintreffenden Eiswarnungen waren nicht etwa dramatische Überraschungen, wie es manchmal in Filmen und Büchern dargestellt wird, sondern Routine. Am dritten Reisetag seit Southampton, dem 12. April, traf eine Eiswarnung des französischen Dampfers
La Touraine
ein.
Von der Touraine an den Kapitän der Titanic. Meine Position um 7 Uhr abends GMT : Breite 49.28, Länge 26.28 W. Seit heute Nacht dichter Nebel. Passierten dickes Eisfeld bei Breite 44.58, Länge 50.40
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