Das Titanic-Attentat
die die
Titanic
erhalten hatte. Viele Menschen haben von diesen Eiswarnungen eine relativ verschwommene Vorstellung – in etwa so, als habe man die
Titanic
lediglich unbestimmt vor »Eis auf der Route« gewarnt. Das ist aber nicht richtig.
Vielmehr war das »Schöne« an den Eiswarnungen, dass diese genau wie die Schiffspositionen ebenfalls Koordinaten enthielten. Auf ihrer Fahrt zwischen Europa und Amerika gaben die Schiffe ihre Beobachtungen jeweils mit den Koordinaten weiter. Und was macht nun unser Offizier oder Kapitän? Richtig: Er geht mit dem Funkspruch zur Karte und zeichnet die Position des Eises auf der Karte ein! Das gaben später vor dem US -Untersuchungsausschuss sogar selbst
Titanic
-Besatzungsmitglieder zu, zum Beispiel der Offizier Joseph Groves Boxhall. Von den zahlreichen Eismeldungen an dem verhängnisvollen Sonntag, 14. April, wollte er zwar nichts gewusst haben. Aber er räumte doch ein, zuvor ältere Eiswarnungen in die Karte eingezeichnet zu haben. Und das wäre natürlich mit jeder anderen Eiswarnung auch geschehen.
Was ergibt sich daraus? Ganz einfach: Ein Blick auf die Karte, und man wusste genau Bescheid. Vor allem sah man, ob die eigene Kurslinie genau auf das gemeldete Eis zeigte oder nicht. Sie werden mir wahrscheinlich zustimmen, wenn ich sage: Ein solches Bild in einem
Titanic
-Film, und die ganze schöne Geschichte von dem schrecklichen Unfall wäre geplatzt. Es war nämlich so, dass nach diesen Eiswarnungen der Kurs der
Titanic
mit Eis regelrecht verrammelt war. Es gab praktisch kein Durchkommen. Und schon gar nicht bei Nacht und voller Fahrt. Die Offiziere der
Titanic
hatten die Gefahr glasklar vor Augen.
Woher wissen wir überhaupt von den Eiswarnungen? Ginge es nach der überlebenden
Titanic
-Besatzung, insbesondere den Offizieren, wüssten wir praktisch nichts davon. Vor den Untersuchungsausschüssen in New York und London mochten sie sich an kaum eine Eiswarnung erinnern, und wenn, dann bitte nicht zu konkret.
Nehmen wir zum Beispiel den überlebenden Vierten Offizier Joseph Groves Boxhall, der am dritten und am zehnten Tag der US -Untersuchung in New York aussagte. Am Abend der sogenannten Kollision vom 14. April 1912 hatte Boxhall seit 20 Uhr Dienst auf der Brücke. Das heißt, er musste über sämtliche die Navigation betreffenden Tatsachen Bescheid wissen. Selbstverständlich musste er auch das Kartenbild mit den eingezeichneten Kursen und Eiswarnungen vor Augen haben. In die Karte mussten im Laufe des Tages etwa sieben bis acht Eiswarnungen eingezeichnet worden sein, darunter einzelne Eisberge, aber auch riesige Planquadrate, in denen andere Schiffe Eis gesichtet hatten. Das meiste davon entweder auf der
Titanic
-Route oder in gefährlicher Nähe.
Doch vor dem US -Untersuchungsausschuss versuchte Boxhall die Senatoren regelrecht für dumm zu verkaufen: Er erinnere sich »nicht daran, dass irgendwelche Meldungen am Sonntag [14. April; G. W.] eintrafen«, behauptete er da. Nur an die weit zurückliegende und tatsächlich irrelevante Eismeldung des französischen Schiffes
La Touraine
wollte er sich erinnern [86] (siehe unten). Ja, Boxhall schien geradezu an einer selektiven Amnesie oder Demenz zu leiden, die sich auf die Eiswarnungen dieses Tages bezog. Aber er hatte auch unerwartete lichte Momente, in denen einige der zahlreichen Eiswarnungen ungewollt aus den Tiefen seines Bewusstseins ungestüm nach oben drängten wie ein Korken an die Wasseroberfläche. Auf diese Weise verstrickte sich Boxhall in Widersprüche, indem er beispielsweise zugab, eine wichtige Eismeldung (des deutschen Dampfers
Amerika
, siehe unten) in die Karte eingezeichnet zu haben.
Vor dem britischen Untersuchungsausschuss sprach Boxhall in Bezug auf die Eiswarnungen schließlich gar von »the whole lot of them« – also von dem »ganzen Haufen«. [87] Doch kaum hatte Boxhall seinen fatalen Fehler bemerkt, wollte er den Korken wieder unter die Wasseroberfläche drücken und dem britischen Untersuchungskomitee weismachen, dass er mit »the whole lot of them« nur eine einzelne Eiswarnung gemeint hatte. Woher weiß man also von den Eiswarnungen?
Um das zu beantworten, muss man sich vor Augen halten, wie damals ein Telegramm verschickt wurde: Der gewünschte Wortlaut wurde von dem Absender auf einem anderen Schiff oder einer Landstation auf ein Formular eingetragen oder dem Funker in das Formular diktiert. Anschließend wurde der Wortlaut per Morsecode übertragen, das heißt, der Funker
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