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Das Todeshaus

Das Todeshaus

Titel: Das Todeshaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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nur noch einen Herzschlag vom Supergau entfernt war. Der Teil, der ihn nach den nebligen Monaten der Einsamkeit wieder ins Sonnenlicht gehoben hat. Dies war der Teil, den George Old Leatherneck nannte. So eine Art geheime Identität, die er annahm, wenn er schlimme Zeiten durchmachen musste. Und jetzt brauchte er Old Leatherneck besonders dringend, denn schlimmer als jetzt konnte es nicht kommen.
    Außerdem sah er sie, wenn er die Augen schloss. Die Frau in Weiß. Und das machte die Sache nicht gerade besser.
    Also zwang er sich mithilfe seiner geheimen Identität, die Augen zu öffnen. Holzsplitter rieselten herunter und setzen sich an seinen Tränen fest. Etwas Warmes und Feuchtes rann seine rechte Schläfe hinunter, aber darüber machte er sich im Moment nicht allzu große Sorgen. Zuerst wollte er herausfinden, was dieses leicht violette, schmutzige Ding war, das auf ein gespaltenes Kantholz knapp über seinem Kopf gespießt war. Es war ihm auf sonderbare Weise vertraut, gehörte aber irgendwie nicht dorthin. Wie ein Segelboot inmitten eines Getreidefelds.
    Das violette Ding wandt sich. Nein, es war nur ein Stück auf der zerbrochenen Spitze des Bretts heruntergerutscht und gab Laute von sich, die ihn an Gelee erinnerten, das auf den Boden tropft. Selbst in dem trüben Licht und dem wirbelnden Staub konnte George fünf Stummel erkennen, die wie die Zitzen am Euter einer Kuh herunterbaumelten. In diesem Moment entfaltete Old Leatherneck seine Wirkung wie ein Dutzend Tassen Filterkaffee.
    »Dann ist es eben eine gottverdammte Hand, die du da siehst, Georgie-Boy. Worin liegt das Problem? Wie viele Menschen auf dieser Welt wurden mit gar keiner Hand geboren? Du hast in Vietnam Typen gesehen, die jedes beschissene Glied an ihrem ganzen Körper verloren haben und nichts weiter tun konnten, als wie Fische auf dem Trockenen hilflos herumzuzappeln. Also komm zum Teufel noch mal darüber hinweg!«
    George würgte, und das imaginäre zerbrochene Glas in seinem Mund arbeitete sich seine Kehle hinunter. Die toten Finger über ihm spreizten sich, als ob sie darauf warteten, abgeklatscht zu werden. George hoffte, dass Old Leatherneck diesmal nicht eine Winzigkeit Nachsicht mit ihm walten lassen würde. Denn er war überzeugt, dass dies im Moment fatale Folgen haben könnte.
    »Und da du nun mal der einzige Blödmann bis, der hier in diesem Dreckstrümmerhaufen herumliegt, wird das wohl deine Hand sein, Soldat.«
    George drehte den Kopf ein wenig zur Seite, sodass er seine Hand nicht sehen konnte. Er verdrehte die Augen nach unten, um sich seinen Körper anzuschauen. Unterhalb seiner Brust konnte er nichts erkennen, weil sich ein Haufen Deckenbalken aus Hemlocktannenholz wie riesige Flöhe über seinen Bauch ergossen hatte. Beim Versuch, seine Schultern zu drehen, ergoss sich der Schmerz in lodernden Farbexplosionen über ihn.
    »Okay, Soldat. Du kannst hier heulen wie ein kleines Mädchen oder du stehst auf und schleppst deinen verschrumpelten Arsch hier raus.«
    George sah keine Möglichkeit, aufzustehen. Zum Einen konnte er seine Beine nicht spüren. »Ausreden, nichts als Ausreden. Georgie, es könnte sehr viel schlimmer sein. Denn falls du es noch nicht bemerkt hast, da hängt ein Stück poliertes Dachblech etwa zehn Zentimeter über deiner Halsschlagader, und das hätte auch ganz einfach hinunterfallen und ein schönes Desaster anrichten können. Dann würden wir dieses nette kleine Gespräch gar nicht führen.«
    Die scharfe Kante des Blechs fing das dahinschwindende Sonnenlicht ein. Während er hinauf blickte, rutschte das Stück Dach mit einem metallischen Knarren weiter auf ihn zu. Auch oben im unsichtbaren Gemetzel des Dachsimses knackte es verdächtig. Irgendetwas glitt in die weichen Schatten hinein.
    »Nein, das ist keine Schlange. Auch wenn die Mokassin- und Klapperschlangen um diese Jahreszeit aktiv werden, um vor der Winterstarre noch eine letzte Runde zu drehen, hier gibt es keine Sssschlangen, Georgie.«
    George dachte an diesen alten Johnny Cash-Song, der davon handelte, wie die Schlangen durch die Nacht krochen. Doch da war Johnny Cash schief gewickelt. Schlangen schliefen nachts, weil sie nämlich wechselwarme Tiere waren. Da war er sich ganz sicher. Schließlich hatte er es nachgeschlagen.
    Wieder würgte George und versuchte, wenigstens ein bisschen der Bergluft in seine verletzten Lungen hinterzupressen. Ein kleiner Tropfen Flüssigkeit fiel zwischen seine Augen. An dem zerfetzten Handgelenk über ihm

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