Das Todeskreuz
mehr rauchen, denn auch dieses Kapitel war ein für alle Mal
beendet. Sie wollte nicht so enden wie ihre Mutter und eines
Tages an Lungenkrebs sterben, nach einem langen und qualvollen
Dahinsiechen.
Sie stellte ihren Corsa in einer Seitenstraße ab, holte die Post
aus dem Briefkasten, Reklamemüll, den sie gleich entsorgen
würde. Auf der Treppe begegnete sie Frau Koslowski aus dem
dritten Stock, eine alte Frau, die die Stufen kaum noch schaffte.
Sie begrüßten sich freundlich. Frau Koslowski hielt sich mit ihren
alten, knöchernen Fingern am Geländer fest, während sie
vorsichtig eine Stufe nach der andern nahm, um eine Mülltüte
nach unten zu bringen. Durant wusste, dass die Frau schon seit
beinahe sechzig Jahren in diesem Haus lebte, dass ihr Mann vor
fünfzehn Jahren gestorben war und sie keine Angehörigen außer
einem Sohn hatte, der jedoch in Hamburg lebte und sie nur hin
und wieder besuchte. Eine alte Frau Mitte achtzig, die mehr als
zwei Drittel ihres Lebens hier verbracht hatte und, wie Durant
glaubte, es auch hier beenden würde. Sie wechselten ein paar
Worte miteinander, Frau Koslowski schenkte ihr dafür ein dankbares
Lächeln, gab es doch sonst kaum jemanden, zu dem sie
Kontakt hatte, ihre Katze ausgenommen, die ihr das Leben einigermaßen
erträglich machte. Durant war von ihr schon ein paarmal zum Kaffee eingeladen worden, und Frau Koslowski hatte
ihr jedes Mal dieselben Geschichten aus der Vergangenheit erzählt,
und Durant hatte geduldig zugehört.
Oben angekommen, stellte sie ihre Tasche auf den Sessel, zog
die Jacke aus und ging ins Bad. Sie überlegte, ob sie sich Wasser
einlassen oder lieber nur duschen sollte, entschied sich dann aber
doch für ein Bad, denn sie war erschöpft und etwas heiser vom
vielen Sprechen. Außerdem schmerzte ihr Rücken wieder, und
auch ihre Beine fühlten sich bleiern an. Sie stellte das Wasser an
und machte sich zwei Salamibrote mit sauren Gurken, auf eine
Tomatensuppe hatte sie heute keine Lust. Sie drückte auf die
Fernbedienung, der Fernseher sprang an, ein Film lief. Sie schaute
hin und nahm doch nicht wahr, worum es ging. Nach dem Essen
badete sie, zog sich frische Wäsche an, setzte sich an ihren
Schreibtisch und wollte bereits zu Block und Stift greifen, als sie
es sich anders überlegte und das Notebook aufklappte und anschaltete.
In den folgenden Minuten tippte sie ein, was ihr zu all
den Personen einfiel, die zum engeren Kreis der Verdächtigen
zählten, und was sie bisher über die Opfer in Erfahrung bringen
konnte.
Mittwoch, 21.00 Uhr
Peter Brandt und Elvira Klein waren zu einem Chinesen
nur wenige hundert Meter von ihrer Wohnung in der Freßgass
gegangen und saßen an einem Tisch in der Ecke, wo sie ungestört
waren. Elvira trug einen braunen Hosenanzug und darunter eine
beige Bluse, die ungewöhnlich weit ausgeschnitten war, und sie
duftete nach einem anderen Parfum als gestern, während Brandt
sich eine beige Hose und eine helle Übergangsjacke angezogen
und zum ersten Mal seit Monaten wieder ein Eau de Toilette benutzt
hatte. Es war ein seltsames Gefühl, mit einer Frau hier zu
sitzen, die sonst auf Distanz zu fast jedem ging, mit der er so
manche Auseinandersetzung geführt hatte und mit der er sich nie
hätte vorstellen können einmal in einem Restaurant zu Abend zu
essen.
»Wollen wir uns einen Wein bestellen? Ich denke, zur Feier
des Tages sollte es ein besonders guter sein.«
»Du kennst dich mit Weinen aus?«, fragte sie und sah ihn dabei
zweifelnd an.
»Zugegeben, es ist nicht mein Spezialgebiet, aber ich hab gehört,
dass ein Merlot ganz gut sein soll.«
Sie lächelte vergebend und sagte: »Dann bestell einen Merlot,
am besten gleich eine ganze Flasche, ich brauch das heute.«
»Warum?«
»Bestell einfach.« Sie spielte mit dem Ring am Mittelfinger
ihrer linken Hand. Brandt merkte, dass etwas mit ihr nicht stimmte.
Er winkte den Kellner heran und bestellte eine Flasche Wein
und eine Flasche Wasser.
»Was bedrückt dich?«, fragte er geradeheraus.
Sie zuckte mit den Schultern und antwortete: »Mir ist nicht
zum Feiern zumute, ich wäre am liebsten zu Hause geblieben.«
»Und warum?«
»Das ist schwer zu erklären. Es stimmt schon, wir haben einen
Sieg errungen, aber ich bin nicht zufrieden.«
»Ich kann dir nicht ganz folgen. Hat es mit deinem Vater zu
tun?«
Sie nickte und sah ihn an. »Es ist alles zum Kotzen. Tut mir
leid, wenn ich dir den Abend
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