Das Todeskreuz
wenn sie zufrieden oder besser befriedigt war.«
»Was verstehen Sie unter großzügig?«
»Na ja, sie hat jeweils für zwei Stunden gebucht, manchmal
wurden es auch drei oder vier. Die Stunde kostet normalerweise
zweihundert Euro, bei Stammkunden geben wir auch mal Rabatt.
Sie hat aber immer die volle Summe bezahlt und den Jungs auch
mal so was zugesteckt. So eine Kundin verliert man nicht gerne.
Das soll jetzt aber bitte nicht pietätlos klingen, es tut mir wirklich
leid um die Frau, sie war nicht frei, innerlich.«
»Wie kommen Sie darauf? Hat sie darüber mit Ihnen gesprochen?
«
»Nein, aber die Jungs und die Mädels merken ja, was mit den
Kundinnen oder Kunden los ist, die sind ja nach einer gewissen
Zeit so was wie Psychologen. Ricardo hat mal gesagt, dass sie
irgendwas belastet, er würde das spüren.«
Durant dachte nach, griff zum Telefon und rief im Präsidium
an, in der Hoffnung, Kullmer und Seidel oder Berger noch anzutreffen.
Sie hatte Glück, Berger war noch im Büro.
»Hi, Chef. Sagen Sie mir doch mal schnell, wann am Freitag
die Sittler beim Escort-Service angerufen hat. Es ist wichtig.«
»Moment.« Sie hörte das Rascheln von Papier. »Um fünfzehn
Uhr neunzehn. Warum?«
»Und danach?«
»Was danach?«
»Hat sie danach noch mal dort angerufen?«
»Nein, zumindest nicht vom Festnetz aus. Aber ich schau gern
mal in der Mobilfunkliste nach.« Und nach ein paar Sekunden:
»Tut mir leid, auch nicht vom Handy aus. Warum wollen Sie das
wissen?«
»Ich bin gerade bei Frau Simonek, die mir glaubhaft versichert,
dass die Sittler zweimal angerufen hat, einmal am Nachmittag
und einmal am Abend. Am Nachmittag, um den Termin
zu bestätigen, am Abend, um abzusagen, angeblich, weil sie
plötzlich krank geworden war. Wir reden morgen drüber. Warten
Sie mal einen Augenblick. Frau Simonek, würde es Ihnen etwas
ausmachen, wenn wir die bei Ihnen am Freitag zwischen neunzehn
und einundzwanzig Uhr eingegangenen Telefonate überprüfen?
«
»Nein, ich habe nichts zu verbergen. Allerdings bitte ich Sie
um Diskretion, ich möchte nicht, dass meine Kunden davon erfahren. Es sind einige darunter, die ... Naja, Sie verstehen schon,
sie bekommen zu Hause nicht, was sie gerne hätten und ...«
»Keine Sorge, es geht ausschließlich um Frau Sittler. Chef.
Sie haben's mitbekommen, würden Sie das in die Wege leiten?
Danke und tschüs.«
Thea Simonek hatte das Gespräch aufmerksam verfolgt und
sagte ziemlich verwirrt: »Ich hab doch mit ihr gesprochen. Ich
kenne ihre Stimme in- und auswendig, sie ist oder war seit fast
zehn Jahren eine Kundin.«
»Haben Sie jemals bei ihr angerufen?«
»Nein, sie hat mir ihre Nummer nicht gegeben. Ich hab ihre
Nummer auch nie auf dem Display gesehen.«
»Und Sie sind sicher, dass Ricardo am Freitag nicht bei Frau
Sittler war?«
»Ganz sicher sogar, denn nachdem sie abgesagt hatte, konnte
ich Ricardo zu einer andern Kundin schicken, die ich kurz vorher
noch vertrösten musste, weil meine Jungs alle ausgebucht waren.
Stimmt irgendwas nicht?«, fragte Thea Simonek, die Durant beobachtete,
wie sie überlegte.
»Allerdings. Sagen Sie, haben Ihre ... Jungs ... erwähnt, wie
Frau Sittler gekleidet war, wenn sie kamen?«
»In Strapsen, im Neglige, auch mal ganz nackt. Wieso?«
»Eigentlich dürfte ich Ihnen das nicht sagen, aber ich vertraue
darauf, dass Sie über dieses Gespräch Stillschweigen bewahren.
Kann ich mich darauf verlassen?«
»Frau Durant, wie lange kennen wir uns schon? Wir haben uns
zwar seit Jahren nicht gesehen, aber ...«, antwortete Frau Simonek
und sah Durant mit einem sanften Lächeln und mit hochgezogenen
Augenbrauen an.
»Gut. Als sie gefunden wurde, hatte sie nur ein Paar blaue
Seidenstrümpfe an, als hätte sie jemanden erwartet...«
»Lassen Sie mich raten«, wurde sie von Thea Simonek unterbrochen.
»Auf dem Tisch standen eine Flasche Schampus und zwei Gläser. Das war ihr Ritual mit Ricardo. Bei Carlos war es
immer Rotwein.«
»Ganz genau. Sie hat Ricardo erwartet, und das bedeutet, dass
es nicht Frau Sittler war, die den Termin abgesagt hat.«
»Ihre Mörderin?«
»Wie es scheint, ja.«
»Aber es war doch ihre Stimme! Ich kenne jede Stimme von
meinen Stammkunden, das versichere ich Ihnen.«
»Ich glaub's Ihnen ja, und ich mache Ihnen auch gar keinen
Vorwurf. Ich frage mich nur, wer bei Ihnen angerufen hat. Was
für eine Klangfarbe hatte ihre Stimme?«
»Ziemlich hell, aber nicht schrill.
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