Das Todeskreuz
Angenehm warm und weich,
wenn ich es blumig ausdrücken würde.«
»Also nicht tief oder rauchig.«
»Nein, sie hatte eine ziemlich jugendliche Stimme. Warum?«
»Nur so. Frau Sittler war es jedenfalls nicht. Frage: Haben
Carlos und Ricardo je erzählt, wie es war, wenn sie zu Frau Sittler
kamen? Sie mussten klingeln und dann?«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«
»Das Haus war doch die reinste Festung, mit Videoüberwachung,
Bewegungsmeldern und so weiter. Sie hat kaum jemanden
ins Haus gelassen.«
»Tut mir leid, aber dazu kann ich nichts sagen.«
»Das heißt, wenn die Jungs einen Termin bei ihr hatten, hat sie
sie einfach reingelassen.«
»Ich nehm's an. Ich glaube kaum, dass sie eine Leibesvisitation
vorgenommen hat, das heißt, das hat sie schon, aber erst im
Schlafzimmer, wenn Sie verstehen.«
»Ich würde gerne mit den beiden sprechen. Sind sie jetzt zu
erreichen?«
»Leider erst morgen Vormittag. Ich gebe Ihnen aber gerne die
Adressen und Telefonnummern.« Thea Simonek hievte sich aus
dem Sessel, ging zu ihrem Schreibtisch und holte zwei Visitenkarten. »Hier, bitte. Ricardo müsste morgen Vormittag zu erreichen
sein. Carlos hat Uni, er verdient sich sein Studium bei mir
Auf jeden Fall lukrativer als bei McDonald's hinterm Tresen zu
stehen.«
»Kommt drauf an, wie man's sieht. Okay, ich danke Ihnen
sehr. Sagen Sie, wie viele Angestellte haben Sie?«
»Dreiundzwanzig, von denen aber nur sechs angestellt sind.
Die meisten arbeiten quasi freiberuflich für mich. Einige von ihnen
sind schon von Beginn an bei mir.«
»Ist das nicht sehr anstrengend, vor allem für die Männer?«
»Es sind alles gestandene junge Kerle. Die schaffen das, wenn
auch manchmal mit Hilfsmittel, wenn Sie verstehen.«
»Und was wird so alles geboten?«
»Alles, das heißt, fast alles. Von der reinen Begleitung bis zu
Intimitäten. Sie glauben gar nicht, wie viele einsame Männer und
Frauen es in dieser Stadt gibt. Die meisten von ihnen haben viel
Geld, aber die körperliche Wärme, die müssen sie sich kaufen. Es
ist traurig, doch es ist mein Geschäft. Meine Jungs und Mädels
geben ihnen diese Wärme, denn ich prüfe sie vorher alle. Sie
müssen auf einem Fragebogen bestimmte Fragen beantworten.
Wenn ich auch nur bei einer oder einem merke, dass ich angeflunkert
werde, ist sofort Feierabend.«
»Und das Honorar wird aufgeteilt?«
»Ich bekomme vierzig Prozent.«
Durant stand auf, trank ihr Glas leer und reichte Thea Simonek
die Hand. »Ich wünsche Ihnen noch viel Glück. Und danke für
den Wein.«
»Und ich hoffe, Sie kriegen das verdammte Schwein. Ich
drück Ihnen jedenfalls beide Daumen.«
Als Durant vor ihrem Wagen stand, schaute sie noch einmal
nach oben, wo Thea Simonek aus dem Fenster sah und ihr zuwinkte.
Durant lächelte, winkte zurück, stieg ein und fuhr nach
Hause. Sie hatte das Radio an, doch die Musik nervte sie diesmal. Sie brauchte einen klaren Kopf, kurbelte das Fenster runter,
um frische Luft hereinzulassen, obwohl es schon wieder kühl geworden
war. Irgendjemand hatte sich für Corinna Sittler ausgegeben
und dabei ihre Stimme so perfekt imitiert, dass selbst Thea
Simonek, eine Frau, der man so leicht nichts vormachen konnte,
getäuscht worden war. Eine helle, jugendliche Stimme. Ihr fiel
plötzlich Matthias Mahler ein, der große Stimmenimitator von
FFH. Er konnte alle möglichen Prominenten nachmachen, aber
die Sittler? Dazu hätte er ihre Stimme kennen müssen, was jedoch
bedeutet hätte, dass er sie getroffen hatte. Nein, dachte sie,
das ist zu weit hergeholt. Außerdem kannte sie in ihrem Umfeld
mehrere Personen, die andere fast perfekt zu imitieren vermochten
oder alle möglichen Dialekte beherrschten.
Der Fall wurde immer mysteriöser, je mehr Leute sie befragte.
Wer war der Mörder von Corinna Sittler? Es konnte eigentlich
nur eine Frau sein, denn dass ein Mann ... Augenblick, dachte
sie, was, wenn eine Frau die Stimme der Sittler imitiert hat und
ein Komplize ... ? Zwei Täter? Je mehr und je angestrengter sie
nachdachte, desto verwirrter wurde sie. Dazu kam, dass der Anrufer
oder die Anruferin genau über den Tages- und auch Nachtablauf
der Sittler Bescheid wusste. Im Moment kamen da nur zwei
Personen in Frage - Leslie und Alina Cornelius. Und vielleicht
noch Frantzen. Oder es gab jemanden, der über einen längeren
Zeitraum hinweg das Haus der Sittler beobachtet hatte, unbemerkt
von den andern Bewohnern der Straße, unbemerkt
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