Das Todeskreuz
Augen waren fast so grau wie seine Haare und sein Schnurrbart,
Frustration und Bitterkeit hatten sich in seinem Gesicht verewigt.
Berger kannte ihn seit über dreißig Jahren, als Kremer bei der
Staatsanwaltschaft in Frankfurt angefangen hatte, bis er Anfang
der Achtziger nach Darmstadt ging. Das letzte Mal, dass sie sich
gesehen hatten, war bei einem Prozess 1986, wo Kremer als Zeuge
in einem Korruptionsfall aussagte, in den auch einige von Bergers
Kollegen verwickelt waren.
»Was möchten Sie essen?«, fragte Berger, um die spürbare
Spannung zu lockern.
»Nichts, ich will nur ein Bier oder auch zwei. Ich hab aber
nichts dagegen, wenn Sie sich was bestellen.«
Berger winkte die Bedienung herbei, eine junge Frau mit
einem ansehnlichen markanten Gesicht, die Haut mokkafarben,
die Augen fast schwarz, eine rassige Latina, vermutlich von
Kuba oder von einer der angrenzenden Inseln stammend. Sie
brachte die Karte, Berger bestellte zwei große Bier und ein argentinisches
Rumpsteak mit frisch geschnittenem Knoblauch,
Folienkartoffeln und Salat. Das Bier kam, kaum dass er die Bestellung
aufgegeben hatte. Er hob sein Glas und prostete Kremer
zu. Nach dem ersten Schluck wischte er sich den Schaum mit
dem Handrücken vom Mund, als Kremer mit gedämpfter Stimme
sagte: »Machen wir's kurz, Sie wollen Informationen über
Frau Dr. Sittler. Die Nachricht von ihrem Tod hat sehr schnell
die Runde bei uns gemacht; und einige Leute sind ziemlich nervös
geworden.« Er drehte das Glas zwischen den Fingern und
fuhr fort: »Ich garantiere Ihnen, Sie werden die Akten nicht
bekommen, die Sie angefordert haben, denn diese Akten gibt es
offiziell nicht mehr. Und sollte jemals herauskommen, dass ich
Sie mit Informationen gefüttert habe, ist mein Leben keinen
Pfifferling mehr wert. Deshalb will ich hier und jetzt Ihr Wort,
dass Sie nach diesem Treffen meinen Namen aus Ihrem Gedächtnis
streichen.«
»Sie haben mein Wort drauf.«
Kremer trank sein Glas in einem Zug leer und orderte gleich
ein neues. »Die Sittler und noch mindestens vier andere in unserm
Laden haben mehr Dreck am Stecken, als Sie in einer riesigen
Kloake finden werden. Das Problem ist, dass es sich bei
den Personen um einen Richter, einen Oberstaatsanwalt und zwei
Staatsanwälte handelt, von denen allerdings keiner mehr bei uns
tätig ist. Ich weiß aber, dass noch viel mehr in diesem stinkenden
Sumpf drinstecken, beschränke mich jedoch auf die Informationen
zu den wesentlichen Leuten.« Er wartete auf sein Bier, zündete
sich einen Zigarillo an und inhalierte tief. Der Geruch stieg
Berger in die Nase, und am liebsten hätte er Kremer gefragt, ob
er auch einen haben könne, aber er hatte sich bereits vor drei
Jahren das Rauchen abgewöhnt. Nach dem ersten kräftigen
Schluck fuhr Kremer fort: »Es geht um Rechtsbeugung, Korruption,
Ämtermissbrauch, Vertuschung, Vorteilsnahme, das unerklärliche
Verschwinden von Beweismaterial und, und, und. Drei
Fälle aus der Amtszeit der Sittler sind von besonderer Bedeutung.
Einer davon wurde geradezu grotesk behandelt, das Verfahren
war eine einzige Schmierenkomödie, und alle haben mitgespielt
«, sagte Kremer leise, dass nur Berger es hören konnte,
obwohl auch sonst kaum einer etwas von dem Gesagten mitbekommen
hätte, zu betriebsam und teilweise auch laut war es in
dem Restaurant.
»Was heißt alle, und um welchen Fall geht es?«
»Von ganz oben bis ganz unten und auch zur Seite, wenn Sie
verstehen, was ich meine. Einfach alle. Und der Fall ...« Er verzog
den Mund. »Ich habe mir nach Ihrem Anruf heute Mittag
lange Gedanken gemacht, warum die Sittler umgebracht worden
sein könnte, und es kann sich nur um einen von zwei Fällen handeln,
oder auch um beide. Und glauben Sie mir, ich habe sehr
lange überlegt, ob ich mit Ihnen sprechen soll oder nicht. Aber
essen Sie erst«, sagte er mit Blick auf die beiden Teller, die gerade
gebracht wurden, auf einem das Steak medium mit zwei Folienkartoffeln,
auf dem andern der üppige Salat, »ich will Ihnen
nicht den Appetit verderben.«
»Das hat schon lange keiner mehr geschafft. Erzählen Sie ruhig.
Und vielleicht möchten Sie sich doch etwas bestellen, wenn
auch nur eine Suppe?«
»Nein, danke, ich habe zu Hause gegessen. Gehen wir gleich
in medias res, ich habe meiner Frau versprochen, bald wieder
zurück zu sein. Sagt Ihnen der Name Laura Kröger etwas? Oder
der Name Peter Guttenhofer?«
Berger sah Kremer kurz und
Weitere Kostenlose Bücher