Das Todeswrack
nicht die Aufmerksamkeit des Sicherheitsdienstes erregt hatten. Nach dem verheerenden Bombenanschlag auf das Regierungsbürogebäude in Oklahoma City wäre es nicht ratsam, bei der Ausspionierung eines Hochhauses erwischt zu werden.
Er ging nach draußen und winkte ein Taxi heran, das er kurz darauf wechselte, um eventuelle Verfolger abzuschütteln. Dann hielt er sich eine Weile in einem Buchladen auf, bis es an der Zeit war, sich mit Melody zu treffen.
Das Restaurant hieß Bomb Shelter und war im Stil der fünfziger Jahre eingerichtet.
Sie nahmen in einer Nische Platz, deren Sitze aus einem 1957er De Soto-Cabrio stammten. Melody war eine waschechte Texanerin, geboren und aufgewachsen in Fort Worth. Bei Time-Quest war sie seit etwa einem Jahr beschäftigt.
»Ms. Harper hat den Chef des Ladens erwähnt, Mr. Halcon«, sagte Zavala beiläufig während des Essens. »Haben Sie je mit ihm zu tun gehabt?«
»Nicht persönlich, aber ich sehe ihn jeden Tag. Wissen Sie, ich bleibe immer eine Stunde länger als die anderen, um noch ein wenig zu lernen. Ich besuche nämlich einen Jurakurs.« Sie lächelte. »Ich will ja nicht für immer Empfangsdame sein. Mr. Halcon bleibt auch lange im Büro, und wir gehen zur selben Zeit. Er fährt mit seinem Privataufzug nach unten und wird von einer Limousine abgeholt.«
Sie hatte gehört, dass Halcon irgendwo außerhalb der Stadt wohnte, aber darüber hinaus wusste Melody nicht viel über ihn.
»Wie sieht er aus?«, fragte Zavala.
»Dunkel, schlank, reich. Auf gewisse gruselige Weise sogar ganz attraktiv.« Sie lachte. »Vielleicht liegt das aber auch nur an dem Licht da unten in der Garage.« Melody war intelligent und witzig, und Zavala kam sich wie ein Betrüger vor, als er ihre Telefonnummer aufschrieb, um sich angeblich später mit ihr zu einer Tour durch die Nachtlokale zu verabreden. Er nahm sich vor, die Sache mit einem Anruf wieder gutzumachen, sobald er zurück in Washington war. Nach dem Essen suchte er eine Bibliothek auf und benutzte den dortigen Internetzugang, um sich über die verschiedenen Firmen der Halcon-Gruppe zu informieren. Seine Funde deckten sich im Großen und Ganzen mit der kurzen Übersicht, die Ms. Harper ihm gegeben hatte.
Dann ging er zu einem Autoverleih und mietete einen normal wirkenden Wagen mittlerer Größe. Außerdem nahm er eine Touristenbroschüre über Alamo mit. Er konnte sich ebenso gut die Zeit mit ein wenig texanischer Geschichte vertreiben, während er auf sein Treffen mit dem geheimnisvollen Mr. Halcon wartete.
30.
Cambridge, Massachusetts
Nina Kirov lächelte, als sie den Hörer des Telefons auflegte.
Sie musste daran denken, wie interessant ihr Leben geworden war, seit sie Kurt Austin kennen gelernt hatte.
Wenn der platinblonde Mann mit der Statur eines Linebackers und den bemerkenswerten Augen sie nicht gerade vor Marokko aus dem Meer zog oder Hinterhalte in Arizona legte, kam er mit den seltsamsten Anliegen zu ihr. Wie diesem hier. Sie sollte so viel wie möglich über ein Artefakt herausfinden, das
vermutlich
aus Stein bestand,
vielleicht
von Kolumbus bei einer seiner Reisen von Jamaika mitgenommen worden war,
eventuell
zu Navigationszwecken gedient haben könnte und sich
womöglich
noch immer in Spanien befand. Mal sehen, was Doc dazu sagt, dachte sie und wählte eine Nummer. Doc war Dr. J. Linus Orville, ein Harvard-Professor mit mehr akademischen Graden als so manches Dozentenkollegium. Orville residierte hinter den efeubewachsenen Mauern von Harvards Peabody Museum. Er war Ethnologe und genoss als Spezialist für mittelamerikanische Kulturen hohes internationales Ansehen. Unter den Akademikern von Cambridge war er für seinen Scharfsinn bekannt. Außerdem galt er ein wenig als »verrückter Professor«.
Die meisten Inhaber einer Professorenstelle wären vermutlich nicht auf einem alten Harley-Davidson-Chopper über den Harvard Square gebraust. Vor einigen Jahren hatte er eine gewisse traurige Berühmtheit erlangt, weil er Leute hypnotisierte, die angeblich von UFOs entführt worden waren, und dann öffentlich verkündete, er hielte ihre Geschichten für authentisch. Seine Telefonnummer war in der Kartei eines jeden Sensationsreporters der Stadt gelandet. Immer wenn die Journalisten eine geistreiche Bemerkung zu irgendeinem x-beliebigen Thema benötigten, vor allem, sobald es sich um besonders abwegige Fragen handelte, konnten sie sich auf den guten alten Harvard-Doc verlassen.
Er achtete darauf, seine eher esoterischen
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