Das Todeswrack
jemand anruft und eine verrückte Frage stellt.« Er legte auf; Orville war auch nicht dafür bekannt, sich zu verabschieden.
Nina zuckte mit den Achseln und ging wieder an die Arbeit.
Wenig später summte ihr Faxgerät und spuckte eine einzelne Seite aus. Am oberen Rand stand eine handgeschriebene Bemerkung: »Fragt, und es soll Euch geantwortet werden. Alles Liebe, Doc.« Es handelte sich um die Kopie eines Zeitungsartikels aus dem
Boston Globe
vom Juni 1956: geheimnisvolles italienisches Artefakt auf dem Weg nach Amerika Genua, Italien (AP) – Eine rätselhafte Steintafel, die kürzlich im staubigen Keller eines Museums entdeckt wurde, wird vielleicht bald ihre uralten Geheimnisse preisgeben.
Die massive verzierte Stele, auf der lebensgroße Figuren und seltsame Schriftzeichen eingemeißelt sind, wurde im März dieses Jahres im Museo Archeologico von Florenz gefunden.
Derzeit werden Vorkehrungen getroffen, die Tafel in die Vereinigten Staaten zu verschiffen, wo sie von einer Expertengruppe untersucht werden soll.
Das Museum plant eine Ausstellung mit dem Titel »Schätze aus dem Keller«, um der Öffentlichkeit Stücke der Sammlung zu präsentieren, die viele Jahrzehnte eingelagert gewesen waren.
Das steinerne Artefakt besitzt die Form einer rechteckigen Platte, was Anlass zu der Vermutung gibt, dass es eins t Teil einer Wand gewesen ist. Es ist fast zwei Meter hoch, einen Meter zwanzig breit und dreißig Zentimeter dick.
Die Steinmetzarbeiten auf einer der Seiten haben mehreren Gelehrten Anlass zur Verwunderung gegeben und in der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu erregten Diskussionen geführt.
Einige Stimmen behaupten, die Figuren und Schriftzeichen seien zweifelsfrei mittelamerikanischen Ursprungs und vermutlich der Maya-Kultur zuzurechnen. »So verwunderlich ist das gar nicht«, sagt Dr. Stephane Gallo, leitender Direktor des Museums. »Auch wenn diese Tafel von den Maya stammt, könnte sie sehr wohl in der Zeit der spanischen Eroberung aus Amerika mitgebracht worden sein.«
Warum man den Stein quer über den Atlantik transportiert hat, ist eine andere Frage.
»Die Spanier waren vor allem an Gold und Sklaven interessiert, nicht an Archäologie.
Also muss jemand irgendeinen Wert in diesem Artefakt gesehen haben, sonst hätte er sich nicht der Mühe des Transports unterzogen. Schließlich handelt es sich nicht um eine kleine Statuette, die einer von Cortes’ Soldaten vielleicht als Souvenir mitgenommen hat.«
Nachforschungen über den Weg dieses Artefakts haben nur zu wenigen greifbaren Erkenntnissen geführt. Die Unterlagen des Museums besagen, dass die Tafel von den Treuhändern des Alberti-Nachlasses gestiftet wurde. Die mütterliche Linie der Familie Alberti lässt sich bis an den spanischen Hof während der Regentschaft von Ferdinand und Isabella zurückverfolgen.
Ein Sprecher der Nachlassverwalter sagt, die Albertis verfügten über keinerlei Informationen hinsichtlich dieses Artefakts, im Gegensatz zu anderen Stücken der Sammlung. Die Familie stammt ursprünglich aus Genua und hat viele Unterlagen und persönliche Besitztümer des Christoph Kolumbus aufgekauft, die von Luis Kolumbus, dem Enkel des Entdeckers, veräußert wurden.
Historiker haben bei Durchsicht der Berichte über die vier Reisen des Kolumbus keinerlei Hinweise auf das Artefakt entdeckt.
Der Stein wird schon bald eine weitere Reise über den Ozean antreten. Er soll ins Peabody Museum der Harvard University in Cambridge, Mass., gebracht und dort von Experten für mittelamerikanische Kulturen untersucht werden. Dieses Mal wird die Überfahrt in stilvollem Ambiente an Bord des italienischen Luxusliners
Andrea Doria
erfolgen.
In Anbetracht von Größe und Gewicht der Tafel wird man sie zusammen mit anderen Wertgegenständen im Laderaum eines gepanzerten Lastwagens verstauen.
Am Rand des Artikels war ein Foto der Platte abgebildet, das man aus einiger Entfernung aufgenommen hatte, um das Artefakt vollständig aufs Bild zu bekommen. Neben der Tafel stand in unbeholfener Pose ein nicht genannter Mann, der angesichts des gewaltigen Gegenstands zwergenhaft klein wirkte. Der Fotograf hatte vermutlich den nächstbesten Anwesenden gebeten, sich neben die Platte zu stellen und so einen Eindruck von der Größe zu vermitteln. Die Zeitung war noch im Hochdruckverfahren hergestellt worden, und daher war das Foto nicht allzu scharf wiedergegeben. Nina konnte schwache Symbole erkennen sowie einige Glyphen und Figuren, die in die
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