Das Tor ins Nichts
sagte ich. »Das bist du nicht.«
DeVries fuhr wie von der Tarantel gestochen herum, und auch Pri blickte mich ungläubig an. Ich hätte mich ohrfeigen können für diese Worte, aber sie waren nun einmal heraus und ließen sich nicht mehr rückgängig machen. Und warum auch?
Ich selbst hatte so oder so keine besonders guten Chancen, den nächsten Sonnenaufgang noch zu erleben, und wenn mein Verdacht zutraf nun, dann konnte DeVries Pri ohnehin nichts tun.
»Das stimmt doch, oder?« fuhr ich fort, an DeVries gewandt.
»Wie lange haben Sie gebraucht, um einen Menschen wie Pri zu finden? Zehn Jahre? Zwanzig? Dreißig?«
»Einen … Menschen wie mich?« wiederholte Pri verwirrt.
»Was meint er damit, Vater?«
DeVries antwortete nicht, sondern starrte mich nur weiter mit einer Mischung aus Wut und Überraschung an.
»Wie haben Sie es gemacht?« fragte ich. »Sämtliche Waisenhäuser Europas absuchen lassen? Oder haben Sie ihre Eltern kurzerhand umgebracht?«
»Schweigen Sie, Craven!« sagte DeVries, gefährlich leise.
»Noch ein Wort, und ich lasse Sie erschießen.«
»Aber warum denn?« fragte ich. »Haben Sie Angst, Pri könnte erfahren, wer sie wirklich ist? Was sie ist?«
Ich wartete vergebens auf eine Antwort DeVries’, und so drehte ich mich wieder zu Pri um. »Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, warum er dich ausgerechnet jetzt nach Europa zurückgeholt hat, Pri«, sagte ich. »Seine Pläne sind nämlich in einer … sagen wir, kritischen Phase. Eigentlich nicht der richtige Moment, sich um Familienangelegenheiten zu kümmern.«
»Halten Sie den Mund, Craven!« krächzte DeVries.
Ich beachtete ihn gar nicht, sondern fuhr fort: »Jetzt ist mir alles klar, Pri. Er braucht dich. Ohne dich ist er nichts. Nur ein böser alter Mann.«
»Er braucht mich? Wozu?«
»Du hast drüben in den Staaten studiert, nicht wahr?« Pri nickte.
»Wo? In NeuEngland? Laß mich raten dein Vater hat dich nach Arkham geschickt, richtig? Du hast an der Miskatonic
Universität in Arkham studiert.«
Pri rückte verblüfft. »Woher weißt du das?« fragte sie. »Ich habe es dir nie erzählt!«
»Es ist das einzige, was Sinn ergibt«, antwortete ich. »Er hat dich dorthin geschickt, weil du ein …«
Ich sah DeVries’ Bewegung, und ich sah sogar den Schlag noch kommen. Aber ich war nicht mehr schnell genug, um ihm auszuweichen. Etwas traf mich mit fürchterlicher Wucht an der Schläfe und ließ mich bewußtlos zusammenbrechen.
Draußen über dem Haus tobte noch immer das Gewitter, und das Prasseln des Regens und das unablässige Grollen des Donners waren die ersten Geräusche, die ich nach meinem Erwachen hörte. Es war dunkel um mich herum, kalt, und mein Kopf tat weh; der Schmerz war nicht sehr schlimm, aber doch heftig genug, um mich an den Kolbenhieb zu erinnern, der mich ins Land der Träume befördert hatte.
Ich versuchte mich aufzusetzen und merkte erst jetzt, wie eingeschränkt meine Bewegungsfreiheit war. Meine Hand und Fußgelenke waren mit dünnen, sich aber äußerst stabil anfühlenden Ketten zusammengebunden, und darüber hinaus war ich überzeugt, daß ich nicht weit kommen würde, selbst wenn es mir irgendwie gelänge, mich meiner Fesseln zu entledigen. Es war zu finster, um etwas zu erkennen, aber ich spürte, daß ich in einem sehr kleinen Raum gefangen war, und die Tür war mit Sicherheit verschlossen. Wahrscheinlich hatte DeVries auch noch ein paar Wächter davor postiert, denen es ein Vergnügen sein würde, mich wieder bewußtlos zu prügeln, sollte ich einen Ausbruchversuch wagen.
Nein ich vertrieb jeden Gedanken an eine eventuelle Flucht, ließ mich wieder auf das ungepolsterte Lager zurücksinken, auf dem ich erwacht war, und beschäftigte mich mit dem, worin ich in letzter Zeit eine gewisse Übung erlangt hatte: mit dem Schicksal zu hadern und mir selbst leid zu tun.
Ich war ein Narr gewesen, dachte ich. Alles war plötzlich so klar, so einleuchtend und offen, daß ich mich verzweifelt fragte, warum ich nicht schon längst dahintergekommen war.
Nicht DeVries war die große Gefahr es war nur das, als was ich ihn vorhin unten in der Halle bezeichnet hatte: ein böser alter Mann, der ein bißchen mit Schwarzer Magie und Zauberei herumexperimentierte, ohne im Grunde zu wissen, was er tat.
Ich hätte die Wahrheit erkennen müssen, spätestens in dem Moment, in dem ich das Mädchen in meiner bizarren Vision gesehen hatte. Es war Priscilla. Ich hatte es gespürt, schon als ich sie das allererste
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