Das Totenhaus
verloren, was?«
Ich versuchte, mich bei meiner Antwort nicht zu sehr von meiner intensiven Abneigung gegenüber McKinney, dem stellvertretenden Leiter der Prozessabteilung und einem der Supervisoren, dem ich Rechenschaft ablegen musste, beeinflussen zu lassen. »Nach allem, was diese Frau durchgemacht hat, wäre es vielleicht angebrachter, es von ihrem und nicht von meinem Standpunkt aus zu formulieren.«
»Gott sei Dank ist es nicht in Ihrem Zuständigkeitsbereich passiert. Ziemlich clevere Sache, die sie da in New Jersey mit dem vorgetäuschten Mord abgezogen haben. Wie kommt es, dass Sie in dem Fall nicht so kreativ waren?«
»Es war Pauls Entscheidung, mit so einem so riskanten Plan nichts zu tun haben zu wollen, und ich finde, dass er damit vollkommen Recht hatte.«
»Das kommt davon, wenn Sie sich nicht an die Kommandokette halten, Alex. In dem Fall hätte ich Ihnen den Rücken gestärkt. Unsere Mannschaft hätte Lola Dakota gestern Nachmittag nicht einfach so gehen lassen, sondern sich besser um sie gekümmert. Man hätte sie nach Hause gebracht und dafür gesorgt, dass sie in Sicherheit wäre. Das nächste Mal sprechen Sie zuerst mit mir. Ich habe oft mehr Spielraum als Battaglia. Und Lola Dakota könnte noch am Leben sein.« Er schlug mit der Hand gegen die Rückenlehne von Lauras Stuhl und ging hinunter in sein Büro am Ende des Gangs.
Das Telefon klingelte, und ich hob ab, während ich mich an meinen Schreibtisch setzte und den Computer einschaltete. Rose Malone, Battaglias Sekretärin, rief an, um mir zu sagen, dass der Bezirksstaatsanwalt auf dem Weg ins Büro sei und mich sprechen wolle, sobald er eintraf. Das hieß, ich hatte eine halbe Stunde Zeit, um herauszubekommen, was die Staatsanwaltschaft in Jersey im Laufe der Nacht in Erfahrung gebracht hatte. Die Antwort, die Battaglia nicht zu oft hören wollte, war: »Ich weiß es nicht, Boss.«
Ich wählte die Nummer meines Kollegen in Sinnelesis Behörde und hinterließ eine Nachricht auf seiner VoiceMail, mich so bald wie möglich zurückzurufen. Wie sah die Beweislage gegen Kralovic aus? Um wie viel Uhr genau hatte Dakota das Haus ihrer Schwester verlassen? Wie ist sie nach Manhattan gekommen? In welcher Stimmung war sie? Wer hat sie zuletzt gesehen? Battaglia würde mich wahrscheinlich auch fragen, was sie gefrühstückt und ob sie brav aufgegessen hatte. Es gab nichts über ihre letzten Tage auf Erden, was er nicht bis ins kleinste Detail von mir wissen wollen würde, sobald er ins Büro kam.
»Haben Sie eine Minute Zeit für mich?« Jody Soellner stand zögerlich in der Tür, und ich winkte sie herein. In ihren Armen stapelten sich Notizblöcke, ein Exemplar des Strafgesetzbuchs und etwas, das wie ein Asservatenbeutel der New Yorker Polizei aussah. »Ich bin auf dem Weg zur Grand Jury, um den Fall vorzulegen, den ich letztes Wochenende übernommen habe. Der Kerl, der in eine Wohnung in der West Twenty-third Street einbrach und die Babysitterin vergewaltigte, die auf die drei Kinder aufpasste. Erinnern Sie sich an die Fakten?«
Ich bejahte.
»Das Opfer zeigte mir gerade zwei ihrer Finger. Als der Täter sein Messer aufs Bett legte, versuchte sie, sich von ihm wegzurollen. Aber er hielt sie am Arm fest und biss kräftig zu.« Jody hob ihre linke Hand und nahm ihren Mittel- und Ringfinger. »Sie war gestern zur Nachuntersuchung im Roosevelt Hospital, und der Arzt bestätigte, dass zwei Nerven gerissen sind. Kann ich dafür eine separate Anklage erheben, wegen tätlichen Angriffs - nach dem Motto, dass die Zähne des Täters eine gefährliche Waffe sind?«
»Guter Versuch. Leider ist das Berufungsgericht nicht Ihrer Meinung. Der entsprechende Fall vor circa zwei Jahren heißt, glaube ich, Das Volk gegen Owusu. Die verehrten Richter entschieden, dass es nicht das Gleiche sei, als wenn der Täter eine Waffe mitbringen würde. Seine Zähne hat der Täter immer dabei - es sind keine gefährlichen Instrumentes für die man separat Anklage erheben kann, aber mir gefällt Ihr kreativer Ansatz. Was ist in dem braunen Umschlag?«
Jody öffnete den Verschluss und zog einen Plastikbeutel heraus, auf dem mit schwarzer Tinte eine Asservatennummer und die Kennung des Falls geschrieben stand. Als sie ihn auf die durchsichtige Seite drehte und hoch hielt, konnte ich das Tranchiermesser mit der zehn Zoll langen Klinge sehen. Dieses Opfer hatte Glück. Die Geschworenen würden sich nicht einmal die Definition von Nötigung mit Gewalt anhören müssen, bevor
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