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Das Totenhaus

Das Totenhaus

Titel: Das Totenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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Angst vor Erfrierungen. Ich sagte mir, dass das ein gutes Zeichen war. Wenn ich mir darüber Sorgen machte, ein paar Zehen zu verlieren, hieß das, dass ich immerhin glaubte, diese Tortur zu überleben.
    Shreve führte mich auf dem gleichen Weg, durch den wir Stunden zuvor hereingekommen waren, durch die Hintertür wieder hinaus. Es war die einzige Seite des Gebäudes, die nicht von Flutlichtern angestrahlt wurde. Er konnte sich also sicher sein, für den unwahrscheinlichen Fall, dass mich überhaupt jemand an diesem Ort suchen würde, dass uns hier niemand entdecken würde.
    Ich konnte die nächtliche Skyline der Stadt deutlicher sehen. Das Grauschwarz des Himmels war vor Anbruch des letzten Tages des Jahres in ein Kobaltblau übergegangen. Drüben in Manhattan war die Artdeco-Spitze des Chrysler Building in die roten und grünen Lichter der Feiertagssaison getaucht. In Queens dominierte der Citicorp-Wolkenkratzer, der hinter den Domino Sugar-, Silvercup-, und Daily News -Zeichen auf den Fabrikdächern entlang des Flusses in die Höhe ragte, die Skyline.
    Unterhalb der Neonlichter und Fabrikschornsteine war auf den Straßen und Piers jenseits des Wassers nicht eine Menschenseele zu sehen.
    Shreve führte mich am Ellbogen zum Wasser. Ratten, so groß wie kleine Hunde, huschten über die Felsen am Rande des Damms. Weiter nördlich, auf dem besiedelten Teil der Insel, gab es Bootsanlegestellen, aber hier konnte kein Schiff dieser Granitgrenze nahe kommen, ohne gegen die Felsen geschleudert zu werden.
    Ich warf einen Blick zurück auf die beiden gespenstischen Gebäude. Links von mir, parallel zur Vorderseite der alten Pockenklinik, stand eine riesige, blattlose, mit Eiszapfen behangene Ulme.
    »Dieser Baum ist eine der markierten Stellen auf der Karte. Hinter uns« - ich drehte mich um und zeigte mit meinen zusammengebundenen Zeigefingern - »wird die Insel breiter und krümmt sich leicht nach Norden.«
    Shreves Blick folgte meiner Bewegung. Ich fuhr fort. »Das muss die Stelle sein, an der man die Totenhäuser errichtet hat. Es ist in der Nähe des Leichenhauses, aber dennoch außer Sichtweite.« Das leuchtete ein. Ich gab mir Mühe, genauso überzeugend weiterzusprechen. »Auf der Karte waren die Fundamente von vier alten Holzgebäuden eingezeichnet. Wenn ich mich recht erinnere, stand das erste ein bisschen nördlich von dieser Biegung im Damm.«
    Er entfernte sich von mir und ging einige Schritte auf den Damm zu, wobei er aufpasste, nicht auf den glatten Felsen auszurutschen. Er stützte sich mit einem Bein auf einen kleinen Granitfelsen nahe am Wasser, und ich sah, wie dieser wackelte. Shreve musste auch erschrocken sein, denn er wich zurück, und ich hörte, wie er fluchte. Er beschloss, sich den lockeren Felsbrocken genauer anzusehen, und kniete nieder. Der Felsbrocken ließ sich leicht anheben, aber es schien kein Schatz darunter verborgen zu sein. Er fuhr mit seiner behandschuhten Hand über den gefrorenen Boden, der natürlich nicht nachgab. Ich vermutete, dass auch der Damm in einem schlechten Zustand war, da sich seit Jahren niemand mehr um ihn gekümmert hatte.
    »Ich glaube nicht, dass irgendwelche von diesen Felsen nahe am Ufer auf der Karte verzeichnet waren«, gab ich zu bedenken. Ich zeigte mit meinen zusammengebundenen Händen auf eine Fläche, die aussah, als ob sie aus Geröll zu bestehen schien. »Diese Stelle lag unter dem Fundament eines der Gebäude«, behauptete ich.
    Wieder ging Shreve in die Knie und begann, mit den Fingern in den Ritzen zu wühlen, aber außer losen Steinchen und Unrat fand er nichts. Keine seit langer Zeit verschollenen Schätze würden so dicht unter der harten Oberfläche liegen.
    Er schöpfte nun doch Verdacht, dass ich ihn an der Nase herumführte, und wurde ungeduldig. Er stand auf und hob das Seil vom Boden auf.
    »Es macht mehr Sinn, wenn Sie drinnen auf mich warten.« Shreve trat einen Schritt auf mich zu, und es war klar, dass er mich mit dem dicken Seil fesseln wollte. Ich wusste, dass er innerhalb der nächsten Stunde entscheiden musste, ob er mich fesseln und bei Charlotte Voight zurücklassen könne, während er nach Manhattan fuhr, oder ob er mich gleich in den eisigen Fluss werfen solle, der nur drei Meter entfernt war.
    Ich ging langsam, einen Fuß hinter den anderen setzend, rückwärts, um seinen ausgestreckten Armen auszuweichen. »Kommen Sie schon, Ms. Cooper«, sagte er, während er das Seil mit der einen Hand ausschüttelte und mit der anderen

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