Das Totenhaus
ihm die ganze Zeit wegen seiner Frau in den Ohren lag.« Sie sah Mike von oben bis unten an und wandte dann mir ihre Aufmerksamkeit zu. »Ich weiß nicht, wann einer von Ihnen das letzte Mal in einer Bar in Manhattan war. Aber ein Cosmopolitan kostet neun Dollar. Ich kann mit einer Ecstasy die gleiche Wirkung erzielen wie mit fünf Cocktails. Rechnen Sie es sich selbst aus. Außerdem schlief Charlotte den Großteil des Jahres mit Julian. Wenn man mit dem Typen pennt, der mit den Pillen handelt, dann geht der Stoff nie aus.«
»Kannten Sie Julian auch gut?«
Sie kratzte ihren lavendelfarbenen Nagellack ab. »Ich hab nie mit ihm geschlafen. Das musste ich nicht. Wie ich schon sagte, ich konnte mir die meisten Sachen, die ich haben wollte, leisten.«
»Was war er für ein Typ?«
Kristin zuckte die Schultern und fuhr fort, an ihrem Nagellack herumzukratzen. »Er war in Ordnung. Er schien sich wirklich etwas aus Charlotte zu machen. Vielleicht hat sie ihn deshalb sitzen lassen. Ich glaube nicht, dass sie es mochte, wenn ihr jemand so nahe kam.«
»Hat sie ihn wegen jemand anderem verlassen?«, fragte Mike.
»Was macht das für einen Unterschied?«
»Weil sie vielleicht noch am Leben ist. Vielleicht kann uns jemand helfen, sie zu finden.«
»Manche von uns denken, dass sie nicht gefunden werden will. Sie ist einfach weg, um ihr Leben zu leben.« Kristins Unbekümmertheit angesichts Charlottes Verschwinden war beunruhigend.
»Kannten Sie Professor Dakota?«
»Nur vom Hörensagen.«
»Aber Charlotte war doch mit der Professorin befreundet, oder?«
»Nie im Leben«, sagte Kristin und sah mich an, als ob ich verrückt wäre.
»Was macht Sie da so sicher?«
»Letztes Jahr, Herbstsemester, okay? Charlotte fiel in Dakotas Kurs durch. Ein F in irgend so einem Scheißkurs über das Bürgermeisteramt in New York, La Guardia bis Lindsey. Sie bekam's richtig mit der Angst zu tun. Es war eine Sache, Julian um den Bart zu streichen, damit er sie mit Pillen versorgte, aber falls sie vom College flog, hatte sie keine andere Wahl, als nach Südamerika zurückzugehen. Die Studiengebühren waren das Einzige, was ihr Vater bezahlte. Sonst nichts. Wenn sie nicht auf dem College war, dann hasta la vista, liebe Charlotte. Sie sehen überrascht aus.«
»Ich bin in der Tat ein bisschen überrascht«, sagte Mike. »Lola Dakota hatte eine Pinnwand hinter ihrem Schreibtisch. Daran hingen einige Fotos von Verwandten und berühmten Leuten. Aber auch ein Foto von Charlotte Voight. In der Art eines Jahrbuchfotos. Wir gingen davon aus, dass das bedeutete, dass sie sich für das Mädchen interessierte. Sich was aus ihr machte. Sie vermisste.«
Kristin knabberte wieder an ihrer Nagelhaut. »Es hätte Julian umgehauen, wenn er das gehört hätte. Er sagte Charlotte immer, dass Dakota eines Tages das kriegen würde, was sie verdient hatte. Ich dachte, er würde sich nur als Macho aufführen, um sie zu beeindrucken. Ich hätte nie gedacht, dass jemand die blöde Kuh umbringen würde. Charlottes Foto muss aus einem anderen Grund an der Pinnwand gehangen haben.«
»Mit wem sonst können wir über Charlotte sprechen?«, fragte ich. »Es muss doch noch andere Leute geben, denen sie sich anvertraut hat. Man kann doch nicht einfach so verschwinden.«
»Mir fällt keine Menschenseele ein. Soweit ich weiß, war ich die Letzte, die sie lebend gesehen hat.«
»Wo war das?«
»Ich kam so gegen halb neun Uhr abends in die Lobby des Studentenwohnheims. Sie war auf dem Weg zu Julian. Dort ist sie nie angekommen. Sie muss es sich anders überlegt haben. Eine andere Quelle gefunden haben.«
»Schien sie beunruhigt zu sein? Unglücklich? De-«
»Nein. Es schien ihr gut zu gehen. Sie wirkte fast fröhlich. Ich fragte sie, ob sie mit hinauf in mein Zimmer kommen wolle, um sich ein paar Lines reinzuziehen. Charlotte lachte und sagte, dass sie ein besseres Angebot hätte. Sie sei auf dem Weg ins Labor.«
»Wo ist das?«
»So nannte sie Julians Zimmer. Wenn er nicht hatte, was du wolltest, dann musste man nur zehn Minuten warten, und er braute es dir zusammen«, sagte Kristin, offenbar sehr angetan von dem Gedanken. »Er verschwendete seine Zeit bei den Strafrechtlern. Er hätte Chemie als Hauptfach nehmen sollen.«
Chapman war angewidert. »Besser leben mit Chemie« sagte er und blickte auf seine Uhr.
»Wie dem auch sei, Charlotte verließ das Haus, und ich habe sie niemals wieder gesehen. Ich vermutete einfach, das sie es sich drüben im Labor gut gehen
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