Das Totenhaus
inhaliert oder eine Ahnung, wer die Dealer oder Drahtzieher waren.
Als eine der Letzten kam eine Studentin herein, die im Abschlussjahr war und die im vorangegangenen Frühjahrssemester auf dem gleichen Stockwerk wie Charlotte gewohnt hatte. Kristin Baymer war ebenfalls zwanzig Jahre alt. Ihr Zuhause war ein Apartment an der Fifth Avenue, wo ihr Vater und ihre Stiefmutter ihren kleinen Halbbruder aufzogen. Sie fläzte sich mit hochgezogenen Beinen aufs Sofa gegenüber von dem Schreibtisch, an dem ich saß, und unterdrückte ein Gähnen, als sie uns begrüßte.
»Ich krieg doch keinen Ärger wegen dem hier, oder?«
»Kommt darauf an, was Sie getan haben«, sagte Mike, der mit Hilfe seines breitesten Grinsens und Studentenhaften Gebarens versuchte, seinen Charme zu versprühen.
»Drogen. Sie wissen wahrscheinlich, dass ich im zweiten Studienjahr von der Uni eine Bewährungsfrist hatte. Man hat mich mit einigen Pillen erwischt. Amphetamine, Beruhigungsmittel, so was.«
»Wir sind nicht wegen einer Drogenrazzia hier, Kristin. Wir müssen einen Mord aufklären und ein Mädchen finden. Ich fänd's auch besser, wenn sich niemand Nadeln in die Arme stecken oder Kokain schnupfen würde, aber ich bin nicht bei der Sittenpolizei. Was immer Sie uns davon erzählen, bleibt unter uns.«
Foote hatte uns keine Akten über die Studenten gegeben, also wussten wir nichts über Kristin. Sie sah zu kaputt und zu müde aus, um sich darüber Gedanken zu machen, wem sie vertrauen konnte. Sie fing einfach an zu reden.
»Charlotte und ich hatten vieles gemeinsam. Wir waren beide Einzelgängerinnen und wurden beide gern high. Meine Mom ist vor einigen Jahren gestorben, ihre auch. Und mein Vater heiratete die Freundin meines großen Bruders. Meine Stiefmutter ist zwei Jahre älter als ich, und jetzt habe ich einen acht Monate alten Bruder. Klasse, hm? Und da sagen sie, ich sei funktionsgestört.«
»Haben Sie und Charlotte viel Zeit miteinander verbracht?«
»Nur, wenn wir Drogen nahmen. Ansonsten waren wir beide nicht sehr gesellig.«
»Was mochte sie am liebsten? Ich meine, von den Drogen?«
»Charlotte? Sie probierte fast alles aus. Sie schluckte Pillen wie nichts. Sie nahm Aufputschmittel, wenn sie depressiv war. Dann wurde sie so manisch, dass sie etwas brauchte, um sich wieder runterzuholen. Kokain mochte sie sehr. Und Heroin.«
Heroin hatte in den amerikanischen Großstädten in den sechziger und siebziger Jahren verheerende Auswirkungen gehabt. Nach Ansicht von Experten hatte es wenig Anziehungskraft auf junge Frauen ausgeübt, da viele von ihnen keine Lust hatten, sich in den Arm zu spritzen und mit Einstichspuren herumzulaufen.
In den späten neunziger Jahren kam eine neue, kräftige Sorte Heroin wieder in Mode, die wie das fashionablere Kokain geschnupft und geraucht werden konnte.
Kristin biss jetzt an einem Fingernagel herum und zupfte mit den Zähnen an der Nagelhaut. »Und Ecstasy. Sie liebte Ecstasy.« Wie sie es sagte, hörte es sich wie eine Werbung für Cornflakes an. Das gute gesunde Ecstasy.
Die Pillen, die ursprünglich 1914 von dem Merck-Pharmakonzern in Deutschland patentiert worden waren, wurden heutzutage in Holland, Belgien und Israel hergestellt. Sie wurden in rauen Mengen in die Vereinigten Staaten geschmuggelt und hatten die Drogenszene schneller erobert als jede andere Droge zuvor. Den euphorischen Zustand, den sie hervorriefen, und ihr Ruf, das Glücksgefühl beim Sex zu erhöhen, machten Ecstasy unter jungen Erwachsenen immens populär. Die Tabletten stimulierten, genauso wie Speed, das Nervensystem, produzierten aber gleichzeitig ein Gefühl des Wohlbehagens und beinahe halluzinogener Umnebelung. Während Ecstasy in New York noch 1997 nicht einmal als Droge klassifiziert gewesen war, war es mittlerweile zur Massenware in High Schools und Colleges avanciert.
»Wo habt ihr es herbekommen? Ich meine, das Ecstasy.«
»Machen Sie Witze? Es ist leichter für mich, Ecstasy zu bekommen als eine Packung Marlboro. Heutzutage braucht man einen Altersnachweis, wenn man Zigaretten kaufen will. Ecstasy gibt es überall.« Kristin lächelte.
»Es ist doch aber ziemlich teuer, oder?« Ich dachte, dass die Pillen mindestens dreißig Dollar das Stück kosteten. Kein Problem für Models und Börsenmakler, aber schwierig, wenn man Studentin war.
»Charlotte nannte meine Privatschulfreunde >Zasterfaris<. Uns ging die Kohle nicht aus. Mein Dad schickte mir lieber Geld, damit ich von zu Hause wegblieb, als dass ich
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