Das Totenhaus
erhielten. Wir konnten die Brandung an der Südküste der Insel sehen, als uns der Pilot aus dem Nebel und in den Flughafen lotste, der auf allen Seiten von den hoch gewachsenen Pinien des staatlichen Waldes umgeben war.
Ich hatte fast während des ganzen Fluges von dem Fall erzählt - von Lola Dakota und den tragischen Umständen ihres Todes. Jake hatte aufmerksam zugehört und mich ab und zu in der Manier eines guten Reporters geschickt ins Kreuzverhör genommen. »Ich lasse dich das jetzt von der Seele reden«, tadelte er. »Aber danach verfüge ich ein zweitägiges Moratorium für Obduktionsergebnisse, serologische Berichte und polizeiliche Ermittlungen. Und Weltkrisen.«
Er beugte sich herüber und küsste mich, während das Flugzeug zu dem kleinen Terminal rollte, dann stieg der Pilot auf die Tragfläche, öffnete die Tür und ließ die Treppe herunter. »Ist das für die Staatsanwaltschaft annehmbar, Ms. Cooper?«
»Ja, Euer Ehren.«
Ich hatte meinen Hausverwalter und seine Frau gebeten, das Haus für unsere Ankunft vorzubereiten - die Heizung aufzudrehen, das Bett zu beziehen, die Blumen zu arrangieren, die gestern geliefert worden waren, die Lebensmittel einzuräumen, die ich bestellt hatte, Champagner auf Eis zu legen und einen Stoß Holzscheite im Kamin aufzurichten. Er hatte auch mein Auto zum Flughafenparkplatz gebracht, sodass wir selbst zum Haus fahren konnten.
Eine dünne Schneeschicht lag auf den geparkten Autos. Ich ließ den Motor warm laufen und schaltete die Standheizung ein, um das Eis auf der Windschutzscheibe aufzutauen. Ich hatte mich warm angezogen - Hose, Pulli, Skijacke -, aber die bittere Kälte griff meine Nase und meine Ohren an, und innerhalb von wenigen Sekunden hatten wir beide rote Wangen. Der lokale Radiosender brachte ausgiebig die musikalischen Schätze der Insel, James Taylor und Carly Simon, und als ich das Radio einschaltete, sang Letztere gerade den Refrain von »Anticipation«. Wie Carly dachte ich daran, wie schön der heutige Abend werden würde.
Die zwanzigminütige Fahrt über die Insel verlief ruhig und ohne Zwischenfälle. Nichts erinnerte an den Besucherstrom, der die Insel zwischen Memorial Day und Labor Day heimsuchte, wenn die Sommerfrischler kamen und Strandhäuser mieteten, die kleinen Gasthäuser füllten und die winzigen Straßen der Stadt verstopften. Mein altes Farmhaus, das weit abgelegen auf einem Hügel lag und von dem aus man die endlose Weite des Himmels und des Meeres betrachten konnte, war einer der friedlichsten Orte, die ich kannte. Egal, welch grauenhafte Geschichten mir jeden Tag auf den Schreibtisch flatterten, hier konnte ich mich regenerieren.
Das Fernlicht meines Autos durchschnitt die winterliche Dunkelheit der South Road. Zu dieser Jahreszeit, wenn das dichte Sommerlaubwerk fehlte, konnte man auch die Häuser, die etwas abseits von der Straße standen, sehen. Viele waren festlich beleuchtet, mit Tannengirlanden und weißen und roten Samtbändern geschmückt und hatten in guter neuenglischer Tradition Kerzen auf den Fensterbrettern stehen. Adam und ich hatten dieses Haus einige Monate vor unserer geplanten Hochzeit gekauft. Fast zehn Jahre lang war es mir unmöglich gewesen, es als meines anzusehen. Dann, nach dem tragischen Mord an meiner Freundin Isabelle Lascar, hatte ich gezweifelt, ob ich überhaupt jemals wieder hierher kommen könnte. Ich renovierte und richtete es neu ein, obwohl ich wusste, dass diese Veränderungen nur kosmetischer Natur waren und nicht an den Kern meines Unbehagens rührten. Aber seit dem Sommer waren durch das Glück, das ich mit Jake gefunden hatte, meine Begeisterung und meine Liebe zu diesem einzigartigen Ort wieder erwacht.
Ich nahm die letzte Abzweigung am Beetlebung Corner und lenkte das Auto auf den Parkplatz vor dem Chilmark Store. Da auf meinem Teil der Insel sonst kein Laden offen war, würden wir für alles Notwendige auf den Lebensmittelladen hier angewiesen sein. Ich rannte die Stufen hinauf, auf denen sich im Sommer Strandgänger, Radfahrer, Jogger, Arbeiter, Touristen und Einheimische drängten, die von weither kamen, um vormittags bei einem Becher Kaffee die New York Times zu lesen, mittags ein Stück von Primos Pizza zu kaufen, und um sich alles Mögliche, von Iced Cappuccino bis zu Batterien und frischem Blaubeerkuchen, zu besorgen, bevor der Laden bei Sonnenuntergang zumachte. Ein Schild an der Tür verkündete, dass er in der Weihnachtswoche geschlossen war, also betete ich, dass alles,
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