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Das Totenschiff

Das Totenschiff

Titel: Das Totenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B. Traven
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Wege wegzukommen, denn wenn es sich um Streik handelt oder um Geschichten, die nach Kommunismus riechen, dann bocken die Konsuln gleich alle zusammen, auch wenn sie ein paar Monate vorher sich noch anspucken wollten. Der Konsul hätte ihn sicher der Polizei verwinkt, und Kurt hätte seine zwanzig Jahre machen müssen. Ein Konsul ist immer auf Seiten des Staatsgedankens. Des Staatsgedankens, dieses großen erlauchten Wortes, das nichts als Unfug stiftet und die Menschen zu Nummern macht. Und diese Staatsidee ist so stark in den Konsuln entwickelt, daß sie zugunsten der Staatsidee ihre eignen Söhne verkaufen, nur damit der Staat recht behalten kann. Streik ist ja gegen den Staat gerichtet. Manchmal, wenn er ein treuer und nicht ein geschobener Streik ist.
    Es gelang Kurt, ohne Papiere bis nach England zu kommen. Aber England ist eine böse Sache. Eine Insel ist immer bös. Man kann ’rauf, aber nicht mehr ’runter. Kurt konnte nicht mehr ’runter. Er mußte zum Konsul. Der Konsul wollte wissen, warum er von Brisbane in Australien fort sei, warum er dort nicht den deutschen Konsul aufgesucht habe und warum er auf illegalen Wegen nach England gekommen sei.
    Kurt konnte das nicht erzählen und wollte es auch nicht erzählen, weil ja England für ihn auch nicht sicherer war als Australien. Die Engländer hätten ihn sofort an Australien zur Aburteilung ausgeliefert.
    Auf dem Konsulat in London oder in Southampton oder in welcher Stadt in England es sein mochte, bekam Kurt in dem Büro des Konsuls, wo alles an die Heimat erinnerte, ein so übermächtiges Heimwehgefühl, daß er bitterlich zu weinen anfing. Darauf schrie ihn der Konsul an, er möge hier kein Theater machen, sonst schmisse er ihn ’raus, solche Vagabunden kenne er schon zur Genüge. Kurt gab ihm die einzige richtige Antwort, die ein echter Junge für solche Gelegenheiten auf Lager hält, und um der Einladung den gehörigen Nachdruck zu verleihen, ergriff er einen Sandstreuer oder was es war und feuerte es dem Konsul an den Kopf. Der fing gleich an zu bluten und an zu schreien, aber Kurt war ’raus wie der Teufel.
    Er hätte sich den Weg zum Konsul sparen können, denn da er von Memel war und nicht optiert hatte, konnte ihm der Konsul ja doch nicht helfen. Dazu reichten dessen Vollmachten nicht aus. Wie gewöhnlich. Er war ja nur Diener des Götzen.
    Dadurch war Kurt nun endgültig tot und konnte die Heimat nicht wiedersehen. Es war ihm ja durch eine Amtsperson bestätigt worden, daß sein Heimweh nur Theater war. Was weiß eine Amtsperson davon, daß ein Vagabund, ein zerlumpter Weltherumtreiber auch Heimweh bekommen kann? Solche Gefühle sind nur denen vorbehalten, die weiße Wäsche haben und jeden Tag ein reines Taschentuch aus der Kommode nehmen können. Yes, Sir.
    Ich habe kein Heimweh. Ich habe gelernt, daß das, was Heimat, was Vaterland sein sollte, eingepökelt und in Aktenmappen eingeheftet ist, daß es in Gestalt von Staatsbeamten repräsentiert wird, die einem das treue Heimatsgefühl so sicher austreiben, daß nicht eine Spur davon mehr übrigbleibt. Wo meine Heimat ist! Da, wo ich bin und wo mich niemand stört, niemand wissen will, wer ich bin, niemand wissen will, was ich tu’, niemand wissen will, woher ich gekommen bin, da ist meine Heimat, da ist mein Vaterland.
    Der Junge von Memel kriegte einen Spanier und kam schließlich auf die »Yorikke« als Schlepp.
    Schutzvorrichtungen gab es auf der »Yorikke« nicht, erstens kosten sie Geld und zweitens hindern sie an der Arbeit. Ein Totenschiff ist keine Kleinkinderbewahranstalt. Mach die Augen auf, und wenn was abgeht, so ist das nur faules Fleisch oder ein fauler Finger, der doch nicht arbeiten wollte.
    Das Wasserstandglas an den Kesseln hatte weder ein Schutzglas noch ein Drahtgitter. Eines Tages platzte es, als Kurt auf Wache war. Es war auch kein Langhebel dran, wodurch das Rohr, das zum Wasserstandglas führte, von einem sicheren Platz aus hätte abgedrosselt werden können. Das kochende Wasser strahlte heraus, und der Kesselraum war in dichten heißen Dampf gehüllt.
    Das Rohr mußte abgedrosselt werden. Mußte gemacht werden. Aber der Drosselhahn war direkt unter dem gebrochenen Glas, zwei Zoll von der Strahlöffnung entfernt. Es mußte abgedrosselt werden, sonst lag der Eimer einen halben Tag fest, und wenn schweres Wetter aufkam, konnte das Schiff nicht manövrieren und wurde gepfeffert, daß kein Splitter mehr heil blieb.
    Wer drosselt ab? Der Schlepp natürlich. Der Vagabund

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