Das Totenschiff
oder im Munde, weil die Taschen zerrissen waren, oder auch im Mützenleder, wenn es noch vorhanden war. Wir waren gute Kunden, aber solange wir in der Taverne waren, ließ der Wirt kein Auge von uns und beobachtete jeden Schritt und jeden Blick. Schien es ihm, daß einer mit den Augen zuckte und einen vom ehrlichen Stand zu deutlich anguckte, ging der Wirt sofort zu dem Manne hin, der angeguckt worden war, und bearbeitete ihn, daß er das Lokal verließe. Er mußte ihn ja vorsichtig und zart behandeln, denn hätte der Betreffende gemerkt, was los war, so hätte er vielleicht doch einmal gelippt, und dann war die Appelsoße im Gange.
Wahrscheinlich hatte sich mit der Zeit durch die übermäßige Arbeit, die wir zu leisten hatten, durch die seltsame, verlorene Lage, in der wir uns alle befanden, durch die unaufhörliche Spannung vor dem krachenden Schrei der aufgebrannten »Yorikke«, die nicht zu den Fischen wollte, in unsre Gesichter etwas eingegraben, das alle Menschen, die nicht auf der »Yorikke« fuhren, mit unsagbarem Grauen erfüllte. Es mußte etwas in unsern Gesichtern und in unsern Augen liegen, das Frauen manchmal erbleichen und aufschreien machte, wenn wir unerwartet in ihren Gesichtskreis traten. Selbst Männer sahen uns scheu an und drehten und wendeten sich, um einen andern Weg zu machen, damit sie nicht an uns vorbei brauchten. Die Polizei folgte uns mit den Augen, solange sie auch nur ein Zipfelchen von uns sah. Merkwürdig war es mit Kindern. Manche fingen an zu schreien, wenn sie uns sahen, und liefen fort wie gehetzt, manche wieder blieben stehen, rissen die Augen weit auf, wenn wir vorüberkamen, manche wieder folgten uns atemlos, als hätten sie Traumgestalten verwirklicht gesehen, und manche, und das war recht seltsam, kamen auf uns zu, gaben uns die Hand, lachten uns an und sagten: »Guten Tag, Mann!« oder »Guten Tag, Seemann!« oder so etwas. Unter denen, die uns die Hand gaben, waren aber wieder einige, die, nachdem sie uns die Hand gegeben hatten, aufblickten mit großen Augen, uns mit offnem Munde anstarrten, dann plötzlich wegrannten und sich nicht mehr umdrehten.
Waren wir so tot, daß die Kinderseele den Tod in uns sah und fühlte? Waren wir den Kindern erschienen, als sie noch unter dem Herzen ihrer Mütter träumten? Schlang sich ein geheimnisvolles Band um uns Fortgehende und Totgeweihte und um die Kinderseelen, die gerade über die Schwelle des Lebens getreten sind und noch den Schatten des unbekannten Reiches im Bewußtsein tragen? Wir die Gehenden – sie die Kommenden, die Verwandtschaft lag im Gegensatz.
Richtig sauber gewaschen waren wir nie. Mit Sand und Asche kann man sich nicht sauber waschen. Wenn man in einem Hafen dachte, daß man ja auch Seife haben wollte, war das Geld schon weg für andre Dinge, die einem auch wichtig erschienen, Wein und Gesang und alles das übrige. Singen konnten wir auch. Es war ein Grölen und Heulen, aber niemand rief vom Fenster hinunter, daß wir ruhig sein sollten. Sie hüteten sich. Die Polizei hörte nichts und sah nichts.
Manchmal kauften wir ja auch ein Stück Seife, aber man hatte es nur einen Tag. Dann war es weg für immer. Man kann doch nicht die Seife den ganzen Tag im Munde halten, um sie zu schützen. Und weil man das Geld auch nicht dauernd im Munde halten konnte und es auch nicht gestohlen haben wollte und sich dann noch ärgern mußte, gab man es aus. Das einfachste Ding von der Welt.
Es kam vor, daß wir uns rasieren ließen, wenn wir daran dachten, solange wir noch Geld hatten, oder wenn wir zufällig in eine Schaufensterscheibe guckten und uns selber nicht mehr kannten.
Denn einen Spiegel hatten wir nicht. Das war gut, so wußte keiner, wie er selbst aussah im Gesicht. Es war ja immer der andre, der so fürchterlich aussah, daß die Frauen aufschrien und sich in den Häusern versteckten. Nicht rasiert, das Gesicht rot und verschrammt von dem Sand und der Asche, die nackten Arme voll Brandnarben und die Kleidung versengt, verbrannt, zerrissen, verlumpt.
Nach einem englischen, französischen, deutschen, dänischen oder holländischen Hafen gingen wir nie. Da hatten wir nichts zu suchen. Immer an den Küsten Afrikas oder Syriens. Nur selten gingen wir in Spanien oder Portugal an einen Kai, meist blieben wir draußen auf der Reede liegen und nahmen die Ladung von Leichtern und von Booten über. Der Skipper mochte wohl wissen, warum er in manchen Häfen nicht an den Kai ging, sondern sich auf Reede vor Anker legte. Dann
Weitere Kostenlose Bücher