Das Totenschiff
nicht ’ran.
Und warum macht man das ehrliche Handwerk überhaupt? Weil man keine Arbeit hat, weil man keine kriegt. Mußt doch was tun, kannst doch nicht den ganzen geschlagenen Tag im Bett liegen oder dich in den Straßen ’rumtreiben, wirst ja ganz vertattelt im Kopf.«
»Na und was dann, als du den Holländer nicht kriegtest?« fragte ich.
»Arbeit mußte ich haben, und ein Schiff mußte ich haben, weil ich sonst verrückt geworden wäre. Den guten Paß, das feine Papier, verkaufte ich für Dollar. Dann platzte wieder ein Sack, und ich hatte ein paar Silberlinge in der Hand. Machte mit ein paar dänischen Fischern ein saftiges Spritgeschäft, das ich ihnen durch den Zoll brachte, na und da hatte ich ja feine Pinke.
Ich mich in den Zug gesetzt und ’runter nach Emmerich. Komme auch glatt ’rüber. Drüben aber, als ich mir eine Karte nach Amsterdam kaufen will, werde ich geschnappt, und nachts bringen sie mich über die Grenze und schieben mich ’rüber.«
»Was?« fragte ich. »Du willst doch nicht etwa sagen, daß die Holländer Leute nachts über die Grenze bringen, ganz heimlich?« Ich wollte hören, wie es Stanislaw ergangen war.
»Die? Die?« sagte Stanislaw und streckte seinen Kopf weit vor und bohrte mich fest mit seinen Augen. »Die machen noch ganz andre Sachen. Da ist jede Nacht an den Grenzen das schönste Austauschgeschäft mit Menschen. Die Deutschen schleppen ihre lästigen Ausländer und Bolschewisten über die holländische, belgische, französische und dänische Grenze, und das machen die Holländer, die Belgier, die Franzosen, die Dänen. Ich bin sicher, die Schweizer, die Tschechen, die Polen machen es genau ebenso.«
Ich schüttelte den Kopf und sagte: »Kann ich nicht glauben. Das ist ganz ungesetzlich.«
»Aber sie machen’s. Sie haben es doch mit mir gemacht, und ich habe an der Grenze und in Holland ein paar Dutzend getroffen, mit denen sie es von allen Seiten aus gemacht hatten.
Was wollen sie denn tun? Totschlagen und eingraben können sie doch die Leute nicht. Sie haben ja nichts verbrochen. Haben bloß keinen Paß und können keinen kriegen, weil sie nicht geboren sind oder nicht optiert haben. Jedes Land versucht, seine Paßlosen und Staatenlosen loszuwerden, weil die Leute ihnen immer wieder Scherereien machen. Wenn sie mit den Pässen aufhören, hört diese Warenverschiebung auch auf. Also, ob du es glaubst oder nicht, mit mir haben sie es getan.«
Stanislaw ließ sich aber nicht einschüchtern weder mit der Drohung Arbeitshaus, noch mit der Drohung Gefängnis, noch mit der Drohung Internierung. Er ging in derselben Nacht wieder ’rüber nach Holland, machte es klüger und kam nach Amsterdam. Er kriegte einen Italiener, ein ganz schmachvolles Totenschiff, und ging mit ihm nach Genua. Dort segelte er achtern ’raus, kriegte wieder ein Totenschiff, diesmal einen unmittelbaren Leichenmacher, und ging mit ihm aufs Riff. Er, mit noch ein paar andern, überlebte die Leichen, strolchte sich bettelnd durch zu einem andern Hafen und kam über ein andres Totenschiff, wo er infolge einer gräßlichen Schlägerei abkanten mußte, auf die »Yorikke«.
Wo bleibt er? Wo bleibe ich? Wo bleiben alle die Toten eines Tages? Am Riff. Früher oder später. Einmal trifft es. Man kann nicht ewig Totenschiffe fahren. Man muß die Fahrerei eines Tages doch bezahlen, ob man noch so viel Glück hat. Und man muß immer auf ein Totenschiff. Kein andrer Ausweg ist einem geblieben. Das feste Land ist mit einer unübersteigbaren Mauer umgeben, ein Zuchthaus für die, die drinnen sind, ein Totenschiff oder eine Fremdenlegion für die, die draußen sind. Es ist die einzige Freiheit, die ein Staat, der sich zum Extrem seines Sinnes entwickeln will und muß, dem einzelnen Menschen, der nicht numeriert werden kann, zu bieten vermag, wenn er ihn nicht mit kühler Geste ermorden will. Zu dieser kühlen Geste wird der Staat noch kommen müssen. Vorläufig aber hat Cäsar Kapitalismus an diesem Mord noch kein wesentliches Interesse, weil er den Kehricht, der über die Zuchthausmauern geworfen wird, noch gebrauchen kann. Und Cäsar Kapitalismus läßt nichts verkommen, solange es noch Profit verspricht. Auch der Kehricht, den die Staaten über die Mauern werfen, hat noch seinen Wert und wirft gute Profite ab, die abzuweisen Sünde wäre, unverzeihliche Sünde.
»In der Bunk über mir«, sagte ich eines Tages zu Stanislaw, »da ist einer verreckt, wurde mir erzählt. Weißt du was davon,
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