Das Totenschiff
waren genau so dreckig wie wir, waren auch nicht länger befahren als wir, waren für den geregelten Gang der »Yorikke« viel weniger wichtig als wir, aber die Schlepps mußten den Herrn Donkeyman bedienen. Mußten ihm das Essen aus der Galley holen, auf den Tisch stellen und wieder abservieren. Damit der Rangunterschied gewahrt blieb. Der Donkeyman ist der Wintschenmaschinist, und wenn das Schiff im Hafen liegt und die Heizer und Schlepps haben Tagarbeit, dann muß er die Kessel heizen, auch des Nachts. Auf der Fahrt murkst er im Wege herum, putzt an den Maschinen hier ein wenig, dort schmiert er ein Lager, dann muß er einen Selbstöler auseinandernehmen und auswaschen und dann wieder da ein wenig Dreck wegnehmen und ihn hier hinlegen. Dafür braucht er nicht in den großen Quartieren schlafen, sondern in kleinen, wo nur zwei oder drei Bunks sind, und dafür bekommt er Sonntag Grießpudding mit Himbeersaft und in der Woche zweimal Backpflaumen in blauer Stärke, während wir keinen Pudding am Sonntag und nur einmal in der Woche Backpflaumen in blauer Stärke fassen. Wenn wir aber zweimal Backpflaumen kriegen mit versteinertem Salzfisch, dann bekommt er dreimal Backpflaumen. Er, der Bootsmann, der Zimmermann, die Unteroffiziere. Dafür hat er hinter uns her zu sein und aufzupassen, daß wir nicht etwa einen Kesselbunker aufschrauben, wenn schweres Wetter ist und die Achterbunker noch ein paar Kilogramm haben. Was würde Cäsar mit seinen Armeen machen, wenn er keine Unteroffiziere hätte, die auf der ersten Sprosse der Leiter zum Generalfeldmarschall stehen? Unteroffiziere, die von oben kommen, sind nicht zu gebrauchen; sie müssen von unten kommen, gestern noch geprügelt worden sein, dann sind sie gut zu gebrauchen, die können am besten prügeln.
Dann kamen die A. B.s und dann die Deckarbeiter. Stanislaw konnte mehr als alle drei A. B.s zusammen, aber er war nur Dreck. Sie hätten sich erst wohl gefühlt, wenn angeordnet worden wäre, daß die Schlepps, wenn sie an dem Donkeyman vorbeigehen wollten, zu fragen hätten, ob es ihnen auch erlaubt sei, an ihm vorbeizugehen.
Dennoch waren sie alle Tote, und dennoch waren sie alle auf dem Wege zu den Fischen.
Soweit das Erhabenheitsgefühl bei ihnen nicht verletzt wurde, konnte man mit ihnen umgehen, und sie fühlten sich durchaus im gleichen Schiethaufen mit uns. Die weniger Befahrenen unter den Deckarbeitern waren noch zu unsicher unter uns alten Seehunden, um irgendwelchen Sprossensinn uns gegenüber zu entwickeln. Mit der Zeit kam dann doch ein Zusammengehörigkeitsgefühl heraus, das seinen Grund in der uns allen gemeinsamen Schicksalslage hatte. Wir alle waren Verwehte, wenn es auch keiner für sich zugeben wollte und immer noch auf ein Entspringen hoffte. Uns allen drohte das gleiche Schicksal der Gladiatorenopferung, was wir alle wußten, ohne es offen auszusprechen. Seeleute sprechen nicht von Schiffbruch und nicht von Untergang, das ist nicht gut. Lockt nur den Gast aufs Schiff. Aber gerade dieses wartende Wissen, dieses bebende Zählen der Tage von einem Hafen zum andern, dieses verhaltene Nichtaussprechen der Tatsache, daß, wie lange es auch immer dauern möge, wir doch mit jedem Tage näher und sicherer dem letzten Tage kommen, wo es um den brutalen Kampf, ums nackte Leben gehen würde, knüpfte uns mit einem merkwürdigen Band zusammen.
Es ging nie einer allein in den Hafen, immer zu zweien oder dreien. Seeräuber konnten nicht ein Viertel so schlimm aussehen wie wir. Wir kamen nie in Händel mit den Mannschaften andrer Schiffe. Zum Teil waren wir ihnen zu dreckig und zu zerlumpt, zum Teil hakten sie nicht ein. Wir konnten sagen, was wir wollten, sie taten, als hörten sie es nicht, tranken ihren Wein aus oder ihren Schnaps und gingen ihrer Wege. Sie waren die ehrliche Arbeiterklasse, der vierte Stand; wir waren der fünfte, der noch lange nicht dran ist, solange nicht der vierte erst einmal an der Krippe sitzt. Vielleicht waren wir gar der sechste und hatten noch ein paar Jahrhunderte zu warten.
Die vom vierten, dem ehrlichen Stand, ließen sich auch darum nicht mit uns ein, weil sie uns für Desperados hielten. Das waren wir ja auch. Uns war alles gleichgültig. Was immer auch geschah, es konnte uns nichts Schlimmeres geschehen. Also los, weg mit ihm.
Wenn wir in eine Seemannskneipe kamen, war der Wirt immer ängstlich darauf bedacht, uns nur ja recht schnell heraus zu haben, obgleich wir alles über die Kante hauten, was wir in der Tasche hatten
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