Das Totenschiff
signalisierte er nach einem Boot und fuhr hinein zum Hafen, um die Papiere in Ordnung zu bringen beim Konsul oder bei den Hafenbehörden.
Wir gingen unsre eignen Wege. Es gibt keine Totenschiffe. Das sind Dinge der Vorkriegszeit. Es gibt keine, weil man sie in einem Hafen, in einem bekannten Hafen nicht sieht. Sie sind da draußen in der Ferne, wo jede Bucht ein Hafen ist, wenn ein Schuppen hingebaut wird. In den chinesischen Gewässern, in den indischen, in den persischen, den malaiischen, an den Küsten des südlichen und östlichen Mittelmeeres, an den Küsten Madagaskars, an den Westküsten und Ostküsten Afrikas, an den Küsten Südamerikas, in der Südsee. Platz genug für alle und für ein paar Tausend mehr. Sowenig wie man je alle Vagabunden von den Landstraßen der Erde wird vertreiben können, weil ja auch ganz anständige Leute darunter sein mögen, die eben gerade nur mal knapp bei Gelde sind, ebensowenig wird man die Totenschiffe von den sieben Meeren vertreiben können. Wer sie suchen wollte, findet sie nicht. Es gibt ja dreimal mehr Wasser auf der Erde als Land; und wo Wasser ist, da ist auch eine Straße für ein Schiff, aber wo Land ist, da ist noch lange nicht eine Straße für einen Vagabunden.
Die »Yorikke« hätte nie jemand gefunden. Sie hatte einen Skipper, der sich aufs Handwerk verstand. Er konnte mit Fürsten umgehen, sie würden ihn für ihresgleichen gehalten haben. Kam jemand irgend etwas verdächtig vor, er schlug die Geschicktesten. Seine Papiere waren immer in Ordnung, soweit sie sich auf die »Yorikke« und auf ihren Mageninhalt bezogen. Kein zehnmal konzessionierter Postdampfer konnte bessere Papiere zeigen. Und das Journal? Es stimmte auf die Minute.
Da kam mal ein spanisches Kriegsboot auf, als wir noch innerhalb der Seegrenze waren. Das Boot suchte. Jedes Kind wußte, daß Corned beef mit Knochen ein gutes Geschäft ist.
Das Boot signalisierte, aber der Skipper pfiff drauf. Dann feuerte das Boot den Stopper. Und »Yorikke« stoppte. Es hatte nicht mehr gelangt. Sie war noch drin. Na, solche Boote machen sich ja nichts draus. Sie versuchen auch außerhalb der Grenze zu picken. Der Skipper muß vor Gericht beweisen, daß er nicht mehr drin war, sondern schon anderthalb Seemeilen ’raus. Soll er mal beweisen, das ist nicht so einfach. Es steht kein Grenzpfahl im Wasser. Die Rumjäger in den States kennen überhaupt keine Seegrenze. Manchmal glückt es dem Skipper aber doch, zu beweisen, daß er ’raus war. Na, dann wird eben bezahlt. Und eine halbe Stunde drauf wird es woanders schon wieder versucht. Nur der Mensch, der kleine, der muß das Gesetz achten, der Staat braucht das nicht. Er ist die Allmacht. Der Mensch muß Moral haben, der Staat kennt keine Moral. Er mordet, wenn er es für gut befindet, er stiehlt, wenn er es für gut befindet; er raubt die Kinder von den Müttern, wenn er es für gut befindet; er zerbricht die Ehen, wenn er es für gut befindet. Er tut, was er will. Für ihn gibt es keinen Gott im Himmel, an den zu glauben er den Menschen bei Leib- und Lebensstrafe zwingt, für ihn gibt es keine Gebote Gottes, die er den Kindern mit dem Knüppel einbleuen läßt. Er macht sich seine Gebote selbst, denn er ist der Allmächtige und der Allwissende und der Allgegenwärtige. Er macht sich die Gebote selbst, und wenn sie ihm eine Stunde darauf nicht mehr zusagen, übertritt er sie selbst. Er hat keinen Richter über sich, der ihn zur Rechenschaft zieht, und wenn der Mensch anfängt, mißtrauisch zu werden, dann fuchtelt er ihm mit der Flagge Rot-Weiß-Blau-Hurra-Hurra-Hurra vor den Augen herum, daß der Mensch ganz duselig wird, und brüllt ihm ins Ohr: »Haus und Herd – Weib und Kind« und bläst ihm in die Nasenlöcher den Rauch: Blick auf deine ruhmreiche Vergangenheit. Und dann plappern die Menschen alles nach, weil der Allmächtige sie in ausdauernder Arbeit zu Maschinen und Automaten gemacht hat, die ihre Arme, Beine, Augen, Lippen, Herzen und Gehirnzellen genauso bewegen, wie es der allmächtige Staat haben will. Das hat nicht einmal der allmächtige Gott zuwege gebracht, und der konnte doch auch etwas. Aber diesem Ungeheuer gegenüber ist er nur ein armer Stümper. Seine Menschen handelten ganz selbständig, sobald sie erst einmal ihre Arme und Beine bewegen konnten. Sie liefen ihm davon, achteten seine Gebote nicht, sündigten wie toll und setzten ihn endlich ab. Bei dem neuen allmächtigen Gott haben sie es schwerer, weil er noch zu jung ist und weil sie
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