Das Totenschiff
Biestes, wie der Henker der Diener des Biestes ist. Alles, was der Mann sagte, war auswendig gelernt. Das hatte er jedenfalls lernen müssen, als er seine Prüfung ablegte, um Konsul zu werden. Das ging klipp-klapp. Auf jede meiner Aussagen hatte er eine passende Antwort, die mir sofort das Maul stopfte. Aber als er fragte: »Haben Sie Hunger? Haben Sie schon gegessen?«, da wurde er plötzlich Mensch und hörte auf, Biestdiener zu sein. Hunger haben ist etwas Menschliches. Papiere haben ist etwas Unmenschliches, etwas Unnatürliches. Darum der Unterschied. Und das ist die Ursache, warum Menschen immer mehr aufhören, Menschen zu sein, und anfangen, Figuren aus Papiermache zu werden. Das Biest kann keine Menschen brauchen; die machen zu viel Arbeit. Figuren aus Papiermache lassen sich besser in Reih und Glied stellen und uniformieren, damit die Diener des Biestes ein bequemeres Leben führen können. Yesser, yes, Sir.
6.
Drei Tage sind nicht immer drei Tage. Es gibt sehr lange drei Tage, und es gibt sehr kurze. Daß drei Tage so kurz sein könnten wie die drei Tage, wo ich gut zu essen hatte und ein Bett, würde ich nicht geglaubt haben. Ich wollte mich gerade das erstemal zum Frühstück hinsetzen, da waren die drei Tage schon um. Aber selbst wenn sie zehnmal länger gedauert hätten, zum Konsul gehe ich nicht mehr. Sollte ich mir vielleicht wieder seine auswendig gelernten Prüfungsantworten anhören? Etwas Besseres würde er jetzt auch nicht wissen. Ein Schiff konnte er mir nicht besorgen. Also was hätte es für Zweck gehabt, seine Reden über mich ergehen zu lassen? Möglich, daß er mir wieder eine Karte gegeben hätte. Diesmal aber sicher schon mit einer Geste und einer Miene, die mir das Essen in der Kehle hätte festwürgen lassen, ehe ich überhaupt den Löffel in die Suppe steckte. Die drei Tage wären noch viel kürzer geworden als die vorigen.
Der wichtigste Grund war, ich wollte die Kleinigkeit Mensch, die er bei meinem ersten Besuche gewesen war in dem Augenblick, als er sich um mein Wohlergehen kümmerte, nicht aus meiner Erinnerung verlieren. Bestimmt hätte er mir nun die Karte in seiner vollen Überlegenheit als Biestdiener verabreicht und mit moralverbrämten Reden, daß es diesmal das letzte Mal sein müsse, daß zu viele kämen und daß man sich nicht darauf ausruhen könne, sondern daß man auch selbst etwas dazu tun müsse, um weiterzukommen. Lieber verrecken, als noch mal dahin gehen.
Oh, du geliebte Schneiderseele, was war ich hungrig! So gottserbärmlich hungrig. Und so müde durch das Schlafen in Torwegen und Winkeln, immer gejagt im Halbschlaf von der Nachtpolizei, die in die Torwege und Winkel hineinleuchtete mit den Taschenlampen. Immer auf der Hut sein, im Schlafe die Patrouille auf fünfzig Schritte hören müssen, um sich noch rechtzeitig aus dem Staube zu machen. Denn wenn sie einen erwischen, das heißt Arbeitshaus.
Und kein Schiff im Hafen, das jemand brauchen könnte. Da sind so viele hundert Seeleute des eignen Landes auf den Beinen, die ein Schiff suchen und die gute Papiere haben. Und keine Arbeit in den Fabriken, keine Arbeit in irgendeinem Geschäft. Selbst wenn da Arbeit wäre, der Mann dürfte sie einem gar nicht geben. Haben Sie Papiere? Nein? Schade, dürfen wir Sie nicht einstellen. Sie sind Ausländer.
Gegen wen sind die Pässe und die Einreisevisen gerichtet? Gegen die Arbeiter. Gegen wen ist die Beschränkung der Einwanderung in Amerika und in andern Ländern gerichtet? Gegen die Arbeiter. Und auf wessen Veranlassung und mit wessen machtvoller Unterstützung sind oft diese Gesetze, die die Freiheit des Menschen vernichten, ihn zwingen, dort zu leben, wo er nicht leben will, ihn verhindern, nach jenem Teil der Erde zu gehen, wo er gern leben möchte, geschaffen worden? Auf Veranlassung und mit Unterstützung der Arbeiterverbände. Ein Biest im Bieste: Ich schütze meine Sippe; wer nicht zu meiner Sippe gehört, der mag zugrunde gehen; geht er zugrunde, um so besser, dann bin ich einen Konkurrenten los. Yes, Sir.
So hungrig und so müde! Dann kommt die Zeit, wo man nicht mehr darüber nachdenkt, ob es einen Unterschied macht, die Börse eines andern, der nicht hungert, mit der eigenen Börse, die man nicht hat, zu verwechseln. Man braucht sie nicht verwechseln, man fängt damit an, ohne es zu wollen, an die Börse eines Nichthungernden zu denken.
Ein Herr und eine Dame standen vor einem Schaufenster, als ich vorüberging.
Die Dame sagte: »Sag doch bloß
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