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Das Totenschiff

Das Totenschiff

Titel: Das Totenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B. Traven
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Das wäre mir gar nicht lieb.«
    »Nein«, antwortete der Leutnant, und er wurde ein wenig ernster, »mit dem Erschießen.«
    »Das habe ich so ernst genommen, wie Sie es meinten. Wortwörtlich. Wenn das in Ihrem Gesetz steht, dann müssen Sie das auch tun. Aber Sie haben doch auch gesagt, laut Gesetz innerhalb vierundzwanzig Stunden. Jetzt ist doch erst eine Viertelstunde um, und Sie denken doch nicht etwa, daß ich die übrigen dreiundzwanzig und dreiviertel Stunden hungere, nur des Erschießens wegen. Wenn Sie mich erschießen wollen, können Sie mir auch etwas Gutes zu essen geben. Das will ich Ihrem Staat denn doch nicht schenken.«
    »Sie sollen was Gutes zu essen haben. Werde ich anordnen. Sonntagsessen für Offiziere, Doppelportion.«
    Da will ich doch sehen, was französische Offiziere sonntags essen. Mich zu vernehmen oder mich nach meiner Seemannskarte zu fragen, hielt der Offizier für nicht nötig. Endlich hatte ich einmal einen Menschen getroffen, der nichts über meine Privatverhältnisse wissen wollte. Nicht einmal meine Taschen wurden durchsucht. Aber der Leutnant hatte recht, wenn das Erschießen feststand, so lohnte es nicht die Mühe, Vernehmungen zu machen und Taschen durchzuwühlen. Das Resultat war ja immer dasselbe.
    Es dauerte eine gute Weile, ehe ich mein Essen bekam. Dann wurde ich in einen andern Raum geführt, wo ein Tisch stand, der mit einer Tischdecke bedeckt war, auf der die Gerätschaften in verlockender Weise aufgestellt waren, die mir das Essen erleichtern und verschönern sollten. Es war nur für eine Person gedeckt, aber Teller, Gläser, Messer, Gabeln und Löffel waren in einer solchen Menge vorhanden, daß sie gut für sechs Personen reichen konnten.
    Meine Wachposten waren inzwischen abgelöst worden; ich hatte zwei neue bekommen. Einer stand jetzt an der Tür und einer hinter meinem Stuhl. Beide mit aufgepflanztem Bajonett, Gewehr bei Fuß. Draußen vor den Fenster sah ich aber auch noch zwei auf und ab patrouillieren mit geschultertem Gewehr. Ehrenwachen.
    Sie brauchten keine Angst zu haben, sie hätten ruhig Karten spielen gehen können in die Kantine; denn solange ich nicht das Sonntagsessen für Offiziere, Doppelportion, innerhalb meines Leders hatte, wäre ich nicht einen Schritt fortgegangen.
    Nach den vielen verschiedenen Messern, Gabeln, Löffelchen, großen Tellern, kleinen Tellern, Glastellerchen und großen und kleinen Wein- und Likörgläsern zu urteilen, die vor mir standen, mußte ich ja etwas erwarten, wovon mich auch eine dreifache Todesstrafe nicht hätte verscheuchen können. Verglichen mit jenem Napf, in dem ich meine belgische Henkersmahlzeit vorgesetzt bekommen hatte, stand mir hier kein Kartoffelsalat mit Leberwurst bevor. Ich hatte nur eine einzige Sorge, und das war die, ob ich auch alles werde essen können, ob ich nicht etwa werde irgend etwas liegenlassen müssen, das mir die letzte Stunde meines Daseins mit den Folterqualen bitterer Reue anfüllen könnte, weil ich unausgesetzt daran denken müßte, wie es nur möglich war, daß ich gerade das liegenließ.
    Endlich wurde es ein Uhr und endlich auch einundeinhalb Uhr. Und da tat sich die Tür auf, und das Fest begann.
    Zum ersten Male in meinem Leben lernte ich erfahren, was für Barbaren wir sind und was für kultivierte Leute die Franzosen sind, und ich lernte ferner erfahren, daß die Nahrungsmittel des Menschen nicht gekocht, gebraten, geschmort, geröstet oder gebacken werden dürfen, sondern daß sie zubereitet werden müssen und daß dieses Zubereiten eine Kunst ist, ach nein, keine Kunst, es ist eine Gabe, die einem Begnadeten und Auserlesenen in die Wiege gelegt wird, wodurch er Genie wird.
    Auf der Tuscaloosa war das Essen gut, vorzüglich. Aber nach dem Essen konnte ich immer sagen, was es gegeben hatte. Das konnte ich hier nicht. Was es hier gab und wie es schmeckte, das war wie ein Gedicht, bei dem man träumt und bei dem man in Seligkeiten versinkt, und wenn man später gefragt wird: »Wovon handelte es denn?«, man zu seinem größten Erstaunen bekennen muß, daß man darauf nicht geachtet habe.
    Der Künstler, der dieses Gedicht geschaffen hatte, war fürwahr ein großer Künstler. Er ließ kein Gefühl der Reue übriggebliebener Verszeilen wegen in mir zurück. Jedes Gericht war so sorgfältig abgewogen und abgeschätzt in allen seinen Nährund Genußwerten, daß man kein Gabelspitzchen voll übrigließ, den nächsten Gang mit erhöhtem Genuß erwartete, und wenn er kam, mit

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