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Das Totenschiff

Das Totenschiff

Titel: Das Totenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B. Traven
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sie die Namen eines Ortes nannten, so wußte ich ja nicht, ob der Ort näher zur Grenze lag oder weiter. Am Ende wäre ich immer im Kreise herumgelaufen und nie nach Spanien gekommen, wenn ich allen Schildern nachgelaufen wäre. Eine Karte, auf der ich die Ortsnamen hätte ablesen können, besaß ich ja nicht.
    »Wir müssen Sie zum wachhabenden Offizier bringen.« Die beiden Soldaten nahmen mich in ihre Mitte und führten mich ab.
    Der wachhabende Offizier war ein noch junger Mann. Er wurde sehr ernst, als er hörte, was los sei.
    Dann sagte er: »Sie müssen erschossen werden. Innerhalb vierundzwanzig Stunden. Laut Kriegsgrenzgesetz. Artikel – «, hier nannte er eine Nummer, die mich nicht interessierte.
    Als der junge Offizier das sagte, wurde er ganz bleich und konnte kaum die Worte hervorbringen. Er mußte sie hervorwürgen.
    Ich durfte mich setzen, aber die beiden Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett blieben neben mir stehen. Der junge Offizier nahm einen Bogen Papier her und versuchte zu schreiben. Aber er war zu aufgeregt und mußte es sein lassen. Endlich nahm er sich aus seinem silbernen Etui eine Zigarette. Er wollte sie in den Mund stecken, aber sie fiel ihm herunter, und ich sah, wie seine Hände zitterten. Um es zu verbergen, nahm er abermals eine Zigarette heraus und brachte sie nun mit einer ganz steifen langsamen Armbewegung in den Mund. Das Zündholz ging ihm dreimal aus. Ehe er das vierte anstrich, fragte er mich: »Rauchen Sie?« Dann drückte er auf einen Knopf, und es kam eine Ordonnanz, der er den Befehl gab, zwei Pakete Zigaretten aus der Kantine zu holen, auf seinen Namen. Ich bekam dann die Zigaretten und durfte rauchen, während die beiden Soldaten neben mir standen wie Götzenbilder und sich nicht rührten.
    Als sich der Offizier beruhigt hatte, nahm er ein Buch, suchte darin herum und las einzelne Stellen. Dann nahm er wieder ein andres Buch und las auch in diesem, verschiedene Stellen aufsuchend und sie mit andern vergleichend.
    Es war merkwürdig. Ich, der ich doch das Opfer war, empfand nicht eine Spur von Aufregung. Als der Offizier mir sagte, daß ich innerhalb vierundzwanzig Stunden erschossen werden müsse, machte das auf mich keinen tieferen Eindruck, als ob er gesagt hätte: »Machen Sie, daß Sie hier herauskommen, aber schleunigst.«
    Es ließ mich kalt wie Pflasterstein.
    Im Grunde und ganz ohne Scherz gesprochen, war ich ja schon lange tot. Ich war nicht geboren, hatte keine Seemannskarte, konnte nie im Leben einen Paß bekommen, und jeder konnte mit mir machen, was er wollte, denn ich war ja niemand, war offiziell überhaupt gar nicht auf der Welt, konnte infolgedessen auch nicht vermißt werden. Wenn mich jemand erschlug, so war kein Mord verübt worden. Denn ich fehlte nirgends. Ein Toter kann geschändet, beraubt werden, aber nicht ermordet.
    Das freilich sind konstruierte Einbildungen, die gar nicht möglich, ja sogar ein Zeichen von Wahnsinn wären, wenn es keinen Bürokratismus, keine Grenzen, keine Pässe gäbe. Im Zeitalter des Staates sind noch ganz andre Dinge möglich und können noch ganz andre Dinge aus dem Universum ausgewischt werden als ein paar Menschen. Die intimsten, die ursprünglichsten Gesetze der Natur können ausgewischt und abgeleugnet werden, wenn der Staat seine innere Macht vergrößern und vertiefen will auf Kosten des einen, des einzelnen, der das Fundament des Universums ist. Denn das Universum ist aufgebaut aus Individuen, nicht aus Herden. Es besteht durch das Gegeneinanderwirken von Individuen. Und es bricht zusammen, wenn die freie Beweglichkeit der einzelnen Individuen beschränkt wird. Die Individuen sind die Atome des Menschengeschlechts.
    Vielleicht auch blieb die angekündigte Erschießung darum ohne jeden Eindruck auf mich, weil ich das schon einmal durchgekostet hatte und damals mit allen Grauen, die damit verknüpft sind. Aber Wiederholungen schwächen ab, selbst wenn es sich um wiederholte Todesurteile handelt. Einmal davongekommen, kommst du immer davon.
    Was auch das Motiv meiner schwachen Empfindung gegenüber der angedrohten Todesstrafe sein mochte, jedenfalls war es mir ganz ausgelaugter Kaffeesatz.
    »Haben Sie Hunger?« fragte jetzt der Offizier.
    »Aber tüchtig, das können Sie mir glauben«, sagte ich.
    Der Offizier wurde über und über rot und fing laut an zu lachen.
    »Sie haben Nerven!« sagte er unter Lachen. »Haben Sie geglaubt, ich scherze?«
    »Womit?« fragte ich. »Doch nicht etwa mit dem angebotenen Essen?

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