Das Totenschiff
Henriks steckte. Manchmal kostete es zwei halbe Hosen, manchmal kostete es nach allen Seiten herumfliegende Püffe, manchmal eine eingebrochene Bunk oder eine durchstoßene Tür. Immer aber kostete es eine ganze Freiwache Streitens und Zankens, um festzustellen, wer zuerst in das falsche Hosenbein gestiegen sei, wodurch der Unschuldige gezwungen wurde, sich rasch nach einem freien Hosenbein umzusehen, damit er nicht etwa mit einem unbekleideten Beine auf die Wache zu gehen gezwungen war. Es ist in der Tat zweimal vorgekommen, daß ein Hosenbein im Quartier zurückblieb, das beidemal von seinem rechtmäßigen Besitzer erst vermißt wurde, als der Morgen aufkam. Es wäre ja vielleicht gegangen, wenn man sich geeinigt hätte. Aber wer sollte denn der Ausgestoßene sein, der eine Minute früher aufzustehen verdammt wurde? Beim Aufstehen begann ja gleich der wütende Streit darüber, daß eine halbe Stunde zu früh geweckt worden sei, wodurch gleich alle in die nötige Stimmung versetzt wurden, um jede Einigungsverhandlung auszuschließen und im Keime zu ersticken. Dieses Streiten und Wüten und Androhen, daß man der Wache das Zufrühwecken schon anstreichen wolle, erreichte seinen Höhepunkt gerade immer dann, wenn die Schiffsglocke die Wache aufrief. Dann paarte sich die Wut mit Nervosität, daß man nicht fertig würde und gleich mit einem Anranzer die Wache beginnen müsse, weil der Hund wieder einmal zu spät geweckt habe, was er aus reinem Schabernack täte, wenn man an und für sich schon mit dem Zweiten nicht gut steht.
24.
Elektrisches Licht hatte die »Yorikke« nicht; sie wußte offenbar in ihrer Unschuld auch gar nicht einmal, daß es so etwas gäbe. Das Quartier war erleuchtet von einer Petroleumlampe. Man muß diesen Leuchtapparat schon so nennen. Es war ein verbeulter Blechbehälter mit einer Kranzverschraubung, die aus Eisenblech war, die man aber durch betrügerische Mittel so behandelt hatte, daß man glauben sollte, sie sei aus reinem Messing. Vielleicht hat es eine Zeit gegeben, wo dieser Betrug aufrechterhalten werden konnte. Aber weil jedes Kind weiß, daß Messing nicht rostet und von jenem Messingkranz nur noch Rost übriggeblieben war, der durch eine lange Gewohnheit in der Form eines Zylinderkranzes zusammenhielt, so war der Betrug herausgekommen, freilich zu einer Zeit, als die Lampe nicht mehr umgetauscht werden konnte, weil die Garantie abgelaufen war. Die Lampe hatte auch einmal einen Zylinder gehabt. Der winzige Rest des Zylinders konnte allein nur dadurch als Überbleibsel eines brauchbaren Lampenzylinders zweifelsfrei festgestellt werden, weil zuweilen die Frage durch das Quartier schwirrte:
»Wer ist denn heute dran, den Zylinder zu putzen?« Es war nie jemand dran, und es ging auch nie jemand dran. Diese Frage wurde auch nur aus alter Gewohnheit gestellt, um uns in dem Glauben zu lassen, wir besäßen einen Lampenzylinder. Ich habe nie jemand gesehen, der so viel Mut besessen hätte, »dran« zu gehen. Er wäre nicht mehr davongekommen. Eine leise direkte Berührung des Zylinders hätte ihn in Staub zerfallen lassen, der Missetäter wäre dafür verantwortlich gewesen, man hätte ihm den Zylinder von der Heuer abgezogen, und auf diesem Wege hätte die Kompanie einen neuen Zylinder bekommen. Das Schiff noch lange nicht. Irgendwo hätte sich schon ein Glasscherben gefunden, der durch die Frage: »Wer ist denn heute dran?« die Form eines Zylinders bekommen hätte. Die Lampe selbst war eine der Lampen, die jene sieben Jungfrauen getragen hatten, als sie auf der Hut waren. Unter solchen Umständen durfte man nicht gut erwarten, daß sie ein Seemannsquartier auch nur notdürftig erleuchten konnte. Der Docht war auch noch derselbe, den eine Jungfrau aus ihrem wollenen Unterrock geschnitten hatte. Das Öl, das wir für die Lampe faßten und das aus betrügerischen Gründen Petroleum, manchmal sogar Diamantöl genannt wurde, war schon ranzig, als die Jungfrauen Öl auf ihre Lampen gossen. In der Zwischenzeit war es nicht besser geworden. Bei dem traulichen, zu traulichen Schein dieser Lampe, die laut Vorschrift die ganze Nacht hindurch im Quartier zu brennen hatte und die erstickend schlechte Luft noch mehr verdickte, weil sie nie brannte, sondern stets nur schmökte, sich an- und auszukleiden, entweder müde zum Zusammenbrechen oder völlig schlaftrunken durch ein handfestes Aufgerissenwerden, hätte in diesem engen Raum zu größeren Katastrophen geführt, als ich zu erzählen für gut
Weitere Kostenlose Bücher