Das Totenschiff
vorzukommen, als daß sie wert gewesen waren, sie zu beachten. Ich habe später einmal gehört, daß in einem Dutzend Häfen, die »Yorikke« gelegentlich anzulaufen pflegte, immer zwei oder drei Mann am Ufer lagen, die aus diesem oder jenem Grunde kein andres Schiff kriegen konnten oder unbedingt fort mußten, weil die Kaie zu heiß wurden, und nun täglich beteten: »O Herr der Schiffe und Heerscharen, laß die gute alte ›Yorikke‹ hereinkommen!« Denn auf der »Yorikke« fehlten immer zwei oder drei Mann, und ich bin sicher, daß die »Yorikke« noch nie in ihrem urlangen Leben jemals mit voller Mannschaft gefahren ist. Man sagte der »Yorikke« auch sonst noch etwas Häßliches nach. Es wurde behauptet, ihr Skipper sei schon viele, viele Male zu den Galgen gegangen und habe die Gehenkten untersucht, ob nicht noch ein Fünkchen Leben in ihnen zurückgeblieben sei und sie noch so viel Atem hätten, um ein Ja zu flüstern und angemustert zu werden für die »Yorikke«. Diese Nachrede ist häßlich, das weiß ich, aber sie ist nicht aus der Luft gegriffen und keiner Katze aus dem Ohrläppchen gesaugt. Ich fragte nach einer leeren Bunk. Einer der Leute deutete mit dem Kopfe nach einer oberen Schachtel. Ich fragte, ob auch niemand drin verreckt sei. Der Mann nickte und sagte dann: »Die untere Kommode ist auch frei.«
So nahm ich die untere. Der Mann verlor jegliches Interesse an mir und meinem Tun.
In der Bunk war keine Matratze, kein Strohsack, kein Kissen, keine Decke, kein Bettuch. Nichts. Nur das nackte wurmstichige Holz. Und sogar an dem Holze hatte man jeden Millimeter gespart, der nur gerade noch abzusparen war, damit man den Koffer für menschliche Gebeine noch Bunk nennen könne und nicht etwa einen Schirmkoffer. In jedem der beiden Bunks, die meinem gegenüber lagen, der eine oben, der andre unten, lagen Lumpen und zerrissene alte Säcke. Das waren die Matratzen für die Mannschaften, die jetzt auf Wache waren oder auf dem Deck herumlungerten. Als Kissen hatten sie altes Tauwerk. Daß man auf altem Tauwerk schlafen könnte, mußte also doch keine Sage aus fernen Zeiten sein. In der Bunk, die über der meinen lag, in der also einer kürzlich verreckt war, vielleicht gestern erst, lagen keine Lumpen. Wenn ich auf meiner Bunk saß, so konnte ich die gegenüberliegende Bunk erreichen, ohne daß ich die Beine hätte lang ausstrecken brauchen. Ich stieß bereits mit den Knien an, während ich hier saß. Der Schiffsbauer war ein guter Rechner gewesen. Er hatte ausgerechnet, daß auf einem Schiff immer ein Drittel oder manchmal gar die Hälfte der Mannschaft auf Wache ist in der Zeit, wo die Bunks im Gebrauch sind. Aber es traf sich, daß wir drei Mann, die wir in diesem Abteil wohnten, alle dieselbe Wache hatten, so daß wir alle zu gleicher Zeit uns hier in diesem Raum, der zwischen den Bunks kaum einen halben Meter breit war, aus- und ankleiden mußten. Dieses Gewimmel von sich bewegenden Armen, Beinen, Köpfen und Schultern wurde noch unübersichtlicher, als in einem Nachbarquartier ein Mann mit seiner Bunk herunterbrach und die gebrauchen mußte, wo der eine verreckt war. Wie sich das ja immer so fügt, so war es auch hier; der neue Quartierbewohner gehörte mit zu unsrer Wache, und nun waren die Einzelheiten des Gewimmels beim An- und Auskleiden überhaupt nicht mehr zu unterscheiden. Wenn es gar zu arg durcheinanderging, so daß die Schiffsglocke schon die Wache ausrief, dann schrie der eine oder der andre plötzlich ein brüllendes »Halt!« aus, bei dem nach stillem Übereinkommen jeder von uns still hielt für die Dauer einer Sekunde. Dieses »Halt!« durfte nicht unnützlich geführt werden, sondern nur dann, wenn einer in höchster Not war, daß er seinen linken Arm verloren hatte oder sein rechtes Bein sich mit dem linken Bein eines der andern Insassen so vertauscht hatte, daß man ohne dieses »Halt!« nie herausgefunden hätte, daß der Martin mit dem rechten Bein des Bertrand auf Wache ging, während Bertrand erst bei Tagesanbruch merkte, daß er die ganze Wache hindurch mit der rechten Hand des Martin und mit der linken des Henrik das Ruderrad gequirlt hatte, während ich die Hände Bertrands verdreckte und überhaupt nicht wußte, wer meine abnutzt.
Ernstere Folgen hatte es schon, wenn im trüben Halbschlummer der rußenden Quartierlampe Bertrand mit seinem rechten Bein in das linke Bein seiner eignen Hose stieg, während er mit seinem linken Bein voll angezogen im rechten Bein der Hose
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