Das Totenschiff
zu schließen war, daß hundert Prozent der Mannschaft kein Spind benötigten.
Die Bullaugen waren auffallend klein und trübe. Die Frage, wer sie zu putzen hatte, tauchte zuweilen auf, aber niemand beantwortete sie mit »ich«, und wenn sie einer mit »Sie« oder mit »du« beantwortete, so wurde das unter Wutausbrüchen bestritten, bis man sich auf »er« einigte. Wer immer auch dieser Er sein mochte: Wenn er genannt wurde, war er auf Wache, konnte also an der Abstimmung dieser Frage nicht teilnehmen und hätte jetzt übrigens auch gar keine Zeit gehabt, sich um ungeputzte Bullaugen zu kümmern. Das Putzen des einen kam ja sowieso nicht in Frage, weil das Glas ausgebrochen und die leere Stelle mit Zeitungspapier verklebt worden war.
Das war der Grund, weshalb selbst bei hellem Sonnenschein das Quartier in mysteriöse Dämmerung gehüllt war. Die beiden Bullaugen, die zum Deck hinausführten, durften bei Nacht nicht geöffnet werden, weil das Lampenlicht des Quartiers die Wache auf der Brücke störte. Deshalb stand in dem Quartier die Luft still wie festgerammt, weil kein Durchzug war.
Jeden Tag wurde das Quartier gefegt von einem, der im Dreck steckenblieb und seine Füße nicht mehr herausziehen konnte oder eine Nähnadel oder einen Knopf verloren hatte. Einmal in der Woche wurde das Quartier mit Salzwasser überflutet, was wir scheuern und schrubben nannten. Es gab weder Seife noch Soda, noch Bürsten. Wer sollte sie liefern? Die Kompanie nicht. Und die Mannschaft hatte nicht einmal Seife, um sich ein Hemd zu waschen. Man war schon selig, wenn man eine Krume Seife in der Tasche trug, um sich das Gesicht zuweilen waschen zu können. Liegenlassen durfte man die Krume nicht. Wenn sie wie ein Stecknadelkopf groß gewesen wäre, irgend jemand hätte sie gefunden, behalten und nie zurückgegeben.
Der Dreck war so dick und so hübsch festgetrocknet, daß man eine Axt gebraucht hätte, ihn loszukriegen. Hätte ich je die Kraft gefunden, das zu tun, ich würde mich darüber hergemacht haben. Nicht aus übertriebenen Reinlichkeitsgefühlen, die gingen auf der »Yorikke« bald verloren, sondern aus wissenschaftlichen Gründen. Ich trug in mir die feste Überzeugung, und diese Überzeugung habe ich heute noch, daß, wenn ich nicht zu müde gewesen wäre und den Dreck schichtweise abgemeißelt hätte, dann hätte ich in den tieferen Schichten Geldmünzen der Phönizier gefunden. Was für Schätze ich gefunden hätte, wenn ich noch einige Schichten tiefer gedrungen wäre, wage ich gar nicht auszudenken. Vielleicht lagen da die abgeschnittenen Fingernägel des Urgroßvaters des Neandertalmenschen, die solange schon und so vergebens gesucht werden und die so ungemein wichtig sind, um festzustellen, ob der Höhlenmensch schon etwas von Mr. Henry Ford aus Detroit gehört hätte oder ob er imstande gewesen wäre, auszurechnen, wieviel Dollar Mr. Rockefeller jede Sekunde verdient, wenn er seine blaue Brille putzt, denn die Universitäten können nur dann auf einen Privatzuschuß rechnen, wenn sie einen Teil der Reklame zu übernehmen gewillt sind. Wenn man das Quartier verlassen wollte, so hatte man einen dunklen lächerlich schmalen Korridor zu durchwandern. An der gegenüberliegenden Seite unsers Quartiers lag ein ähnliches Quartier, nicht genau so, nur ähnlich, weil es noch verdreckter, noch muffiger und noch dunkler war als unsres. Das eine Ende des Korridors führte auf das Deck, das andre zu einer Fallgrube. Ehe man diese Fallgrube erreichte, waren zu beiden Seiten noch je eine winzig kleine Kammer, die für den Zimmermann, den Bootsmann, den Donkeyman und noch einen -mann bestimmt waren, die alle im Unteroffiziersrange standen und die deshalb ihre eignen Quartiere hatten, damit sie nicht dieselbe Luft wie die gewöhnliche Mannschaft zu atmen verpflichtet waren, was der Autorität hätte schaden können.
Die Fallgrube führte zu zwei Kammern, die eine war die Ketten- und Rüstkammer, während die andre die Schreckenskammer genannt wurde. Es war niemand auf der »Yorikke«, der behaupten konnte, er sei je in der Schreckenskammer gewesen oder habe je einen Blick hineingeworfen. Sie war immer fest verschlossen. Als einmal aus irgendeinem Grunde, ich weiß nicht mehr zu sagen, welches dieser unerhörte Grund war, nach dem Schlüssel für die Schreckenskammer gefragt wurde, stellte es sich heraus, daß niemand wußte, wo der Schlüssel sei, und daß die Offiziere behaupteten, der Skipper habe den Schlüssel. Der Skipper
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