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Das Totenschiff

Das Totenschiff

Titel: Das Totenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B. Traven
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einfacher schlichter Arbeitsmann Generaldirektor oder Milliardär geworden sei, und daß jedem, der diesen Spruch gewissenhaft befolgt, der gleiche Weg zum Generaldirektorposten offenstehe. Aber so viel Generaldirektorstellen und so viel Milliardärposten sind in ganz Amerika nicht frei. Da kann ich erst mal dreißig Jahre lang immer mehr und immer noch mehr arbeiten, ohne mehr bezahlt zu bekommen, weil ich ja doch Generaldirektor werden soll. Wenn ich dann gelegentlich einmal nachfrage: »Na, wie ist es denn nun mit dem Generaldirektorposten, ist noch nichts frei?«, so wird mir gesagt: »Bedaure sehr, momentan noch nicht, wir haben Sie aber vorgemerkt, arbeiten Sie noch eine Weile tüchtig so weiter, wir werden Sie nicht aus dem Auge verlieren.« Früher hieß es: »Jeder meiner Soldaten trägt den Marschallstab in seinem Tornister«, heute heißt es: »Jeder unsrer Arbeiter und Angestellten kann Generaldirektor werden.« Ich habe als Junge ja auch Zeitungen ausgeschrien und Stiefel geputzt und mir mit elf Jahren schon meinen Lebensunterhalt verdienen müssen, aber ich bin bis heute weder Generaldirektor noch Milliardär geworden. Die Zeitungen, die jene Milliardäre als Jungen ausgerufen haben, und die Stiefel, die sie geputzt haben, müssen ganz andre Zeitungen und Stiefel gewesen sein als die, mit denen ich in Berührung gekommen bin.
    Wenn man des Nachts so auf dem Ausguck steht, und es ist alles ruhig, kommen einem allerlei schnurrige Gedanken. So habe ich mir schon ausgemalt, was geschehen wäre, wenn die Soldaten Napoleons plötzlich alle ihren Marschallstab aus ihren Tornistern genommen hätten. Wer macht denn dann die Nieten warm in der Kesselschmiede? Die frischgeadelten Generaldirektoren natürlich. Wer sonst? Es ist ja niemand sonst übriggeblieben, der es machen könnte, und der Kessel soll doch fertig werden, und die Schlacht soll geschlagen werden, weil man sonst weder Generaldirektoren noch Marschälle braucht. Der Glaube füllt leere Säcke mit Gold, macht Zimmermannssöhne zu Göttern und Artillerieleutnants zu Kaisern, deren Namen Jahrtausende überstrahlt. Mach die Menschen gläubig, und sie prügeln ihren lieben Gott zum Himmel hinaus und setzen dich auf seinen Thron. Der Glaube versetzt Berge, aber der Unglaube zerbricht alle Sklavenketten.
    Als das Gerassel endlich einschlief und ich bereits Deckarbeiter müßig herumstehen sah, verließ ich das Quartier und ging hinaus aufs Deck. Gleich hoppte der Taschendieb, der sich mir als Zweiten Ingenieur vorgestellt hatte, auf mich zu und sagte in seinem unsagbar komischen Englisch zu mir: »Der Skipper will mit Ihnen sprechen, kommen Sie mit.«
    Die Redewendung »Kommen Sie mit« bereitet in neunzehn von zwanzig Fällen nur den Satz vor: »Wir werden Sie für eine gute Weile hierbehalten.«
    Auch wenn in diesem Ausnahmefalle der zweite Satz nicht gesprochen worden wäre, so war seine Folge doch schon entschieden. »Yorikke« lief bereits wie das leibhaftige Donnerwetter auf hoher See. Der Lotse hatte das Boot verlassen, und der Erste Offizier hatte die Wache übernommen.
    Der Skipper war ein noch junger Mann, sehr gut genährt, mit einem gesunden, roten und glattrasierten Gesicht. Er hatte wässerig blaue Augen, und in seinem gelbbraunen Haar waren brandrote Farbtöne. Er war außerordentlich gut gekleidet, beinahe überelegant. Die Zusammenstellung der Farben des Anzuges, der Krawatte, der Strümpfe und der eleganten Halbschuhe waren gut gewählt. Nach seinem Aussehen würde man ihn nicht für den Kapitän eines kleinen Frachtdampfers, nicht einmal für den eines großen Passagierschiffes gehalten haben. Er sah nicht aus, als ob er einen Eimer auch nur von einer offnen Reede zu einer andern offnen Reede bringen könnte, ohne dabei auf der andern Seite der Erdoberfläche zu landen. Er sprach ein gutes reines Englisch, wie man es in einer sehr guten Schule in einem nicht englisch sprechenden Lande lernen mag. Die Worte wählte er sehr sorgfältig aus, es machte den Eindruck, als ob er sehr geschickt, aber sehr rasch während des Sprechens nur solche Worte auswählte, die er fehlerfrei aussprechen konnte. Um dies mit Erfolg tun zu können, machte er im Sprechen Pausen, wodurch er die Vorstellung erweckte, daß er ein Denker sei. Der Kontrast zwischen dem Skipper und dem Zweiten Ingenieur, der ja ebenfalls Offizier war, hatte nichts Komisches an sich, sondern war so erschütternd, daß, wenn ich je im Zweifel gewesen wäre, wo ich war, ich es aus diesem

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