Das Totenschiff
konnte der Skipper ja nicht herbeirufen, dann wäre das alles herausgekommen, und er hätte von nun an die Überstunden bezahlen müssen.
Seitdem ich auf der »Yorikke« gewesen bin und sie gefahren habe, glaube ich nicht mehr an die herzzerreißenden Geschichten der Sklaven und der Sklavenschiffe. So dicht, wie wir gepackt waren, sind Sklaven nie gepackt worden. So hart, wie wir arbeiten mußten, haben Sklaven nie arbeiten brauchen. So müde und so hungrig, wie wir immer waren, sind Sklaven nie gewesen. Sklaven waren Handelsware, für die bezahlt worden war und für die man hohe Bezahlung erwartete. Diese Ware mußte sorgfältig behandelt werden. Für abgerackerte, ausgehungerte und übermüdete Sklaven bezahlte niemand auch nur die Transportkosten, geschweige denn einen Preis, daß der Händler noch tüchtig daran verdienen konnte.
Aber Seeleute sind keine Sklaven, für die bezahlt worden ist und die als kostbare Handelsware hoch versichert sind. Seeleute sind freie Menschen. Sie sind frei, verhungert, verlumpt, übermüdet, arbeitslos und darum gezwungen zu tun, was von ihnen verlangt wird, und zu arbeiten, bis sie zusammenfallen. Dann werden sie über Bord geworfen, weil sie das Futter nicht mehr wert sind. Da gibt es zu dieser Stunde noch Schiffe zivilisierter Völker, auf denen die Seeleute gepeitscht werden dürfen, wenn sie sich weigern, die Arbeit von zwei Wachen dauernd zu übernehmen und von der dritten Wache noch die Hälfte, weil der Schiffsbesitzer so schlechte Löhne zahlt, daß die Mannschaft immer um ein Drittel zu kurz ist.
Und der Seemann hat zu essen, was ihm vorgesetzt wird, ob der Koch gestern noch Schneider war, weil ein richtiger Koch für die Heuer nicht zu haben war, oder ob der Skipper an der Mannschaftskost so viel zu ersparen trachtet, daß die Mannschaft nie satt wird.
Die Seegeschichten erzählen viel über Schiffe und über Matrosen. Wenn man diese Schiffe aber ein wenig aufmerksam betrachtet, dann sieht man, daß es Sonntagnachmittagsschiffe sind, und die Matrosen in jenen Seegeschichten sind immer lustige Operettensänger, die sich die Hände maniküren und ihren Liebeskummer hätscheln.
26.
Mit den schläfrigen Leuten im Quartier hatte ich alles in allem kaum zehn Worte gewechselt. Als ich meine Bunk hatte und mir gesagt war, daß es hier weder Decken noch Matratzen gäbe, war der Gesprächsstoff erschöpft.
Über mir hörte ich das übliche Rattern und Knattern der Ketten, das dröhnende Hämmern des Ankers, der gegen die Bordwand schlug, ehe er zur Ruhe kam, das Rasseln der Wintschen, das Herumlaufen, Herumtrampeln, das Kommandieren, das Fluchen, das alles notwendig ist, damit ein Schiff ’rausgehen kann. Dasselbe Geräusch hört man, wenn das Schiff ’reinkommt. Mich ärgert dieses Geräusch immer und macht mich mißmutig. Ich fühle mich nur wohl, wenn der Eimer draußen auf hoher See schwimmt. Ganz gleich, ob er heimgeht oder ’raus. Aber ich will draußen sein mit dem Schiff. Ein Schiff im Hafen ist kein Schiff, sondern eine Kiste, die gepackt wird, in die eingepackt oder aus der ausgepackt wird. Im Hafen ist man auch gar kein Seemann auf dem Schiff; man ist eben gerade Tagelöhner. Die dreckigste Arbeit wird im Hafen gemacht, und man arbeitet, als ob man in einer Fabrik wäre, aber nicht auf einem Schiff. Solange ich das Rasseln und Kommandieren hörte, verließ ich das Quartier nicht. Wo gearbeitet wird, da soll man nicht nahe gehen. Denn steht man erst einmal in der Nähe, dann kann leicht etwas für einen dabei abfallen: »He, langen Sie doch da rasch mal zu.« Ich denke ja gar nicht daran. Wozu denn? Ich kriege es ja nicht bezahlt. Da hängen sie in jedes Büro und in jeden Fabriksaal ein Plakat mit der Aufforderung: »Do more!« oder »Tu mehr!« Die Erklärung wird einem kostenfrei gegeben auf einem Handzettel, der einem auf den Arbeitsplatz gelegt wird: »Tu mehr! Denn wenn du heute mehr tust, als man von dir fordert, wenn du heute mehr arbeitest, als wofür du bezahlt wirst, dann wird man dir auch eines Tages das bezahlen, was du mehr tust.«
Mich hat noch nie jemand damit fangen können, darum bin ich ja auch nicht Generaldirektor der Pacific Railway and Steamship Co. Inc. geworden. Man kann es immer wieder in den Sonntagsblättern lesen und in den Zeitschriften und in den Bekenntnissen erfolgreicher Männer, daß allein durch dieses freiwillige Mehrarbeiten, das Ehrgeiz, Strebsamkeit und den Wunsch, kommandieren zu dürfen, verrät, schon manch
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