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Das Totenschiff

Das Totenschiff

Titel: Das Totenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B. Traven
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können wir nicht durch. Da wird uns die Haut bis auf die Knochen abgeledert.«
    »Meist gibt es was ab. Ich kann dir morgen meine Arme zeigen. Aber wir müssen durch«, sagte Stanislaw. »Hilft uns nichts. Kein andrer Weg zu den Kesseln für uns. Die Ingenieure lassen uns nicht durch die Maschinenhalle gehen, wir sind zu dreckig, und es ist gegen die Vorschrift.«
    Während er das noch sagte, sah ich, wie er plötzlich seine Arme um den Kopf schlug, sich so Gesicht, Ohren und Nacken schützend. Nun drehte, quetschte und reckte er sich zwischen die glühendheißen Dampfrohre, wo die Schutzpackungen längst abgefault und abgerissen waren, und der glühendheißen Kesselwand hindurch wie eine geölte Zitterschnecke. Das konnte ihm kein Schlangenmensch nachmachen, dachte ich, als ich das sah. Aber ich erfuhr nun, daß der ganze Kesselbums das so zu machen hatte, und ich verstand auch mit einemmal, warum es auf der »Yorikke« so viele Dinge zu essen gab, die kein Mensch essen konnte und die über Bord flankiert wurden. Das Flankieren durfte der Koch nicht sehen, dann gab es einen Mordskrach, weil alle Salzschwarten und alles Ungenießbare, das nicht in den Magen hineinwollte, weil der Magen sich sträubte, in die Küche zurückgebracht werden mußte, damit daraus Irish Stew, Frikandellen, Gulasch, Haschee und ähnliche Delikatessen gemacht werden konnten.
    »Hast du nun gesehen, Sohn, wie das gemacht wird? Besinne dich nicht lange. Wenn du dich erst besinnst und dir das anguckst und darüber nachdenkst, daß du an der einen Seite verbrüht werden magst und an der andern Seite hinuntersausen kannst in den Schacht, dann geht’s gar nicht. Arme um den Kopf, sieh so – und dann Schlange gemacht. Kann dir eines Tages von Nutzen sein, wenn du andern Leuten zu tief in die Taschen gelinst hast und man dir eiserne Vorhänge an die Fenster gehängt hat. Bin ich auch schon durchgekommen. Immer gut, wenn man in der Übung bleibt, du weißt nie, wie du es gebrauchen kannst. Hopp an.«
    Schwupp, da war ich durch. Ich fühlte Heißes an meinen Armen, aber das war sicher nur Einbildung.
    Am andern Ende der Platte ging eine lange eiserne Leiter weiter hinunter, zu den Grundmauern der Unterwelt. Diese zweite Leiter war so heiß, daß mein Taschentuch, das ich bisher benutzt hatte, wertlos wurde. Ich mußte mich mit den gebogenen Ellbogen in das Geländer hängen, um Halt an der Leiter zu greifen. Je tiefer ich kam, desto dicker wurde die Luft, desto heißer, qualmiger, öliger und unerträglicher. Die Hölle, die ich nun endlich nach meinem Tode erreicht hatte, konnte das nicht sein. In der Hölle hatten ja auch die Teufel zu leben, hier aber konnten keine Teufel leben, das war undenkbar.
    Doch da stand ein Mensch, ein nackter, schwitzender Mensch, der Heizer der Vorwache. Menschen konnten hier auch nicht leben. Aber sie mußten. Sie waren Tote. Ausgelöschte. Landlose. Paßlose. Heimatlose. Die mußten, ob sie konnten oder nicht. Teufel konnten hier nicht leben, denn ein Rest von Kultur ist selbst den Teufeln gelassen, das weiß Goethe. Aber Menschen mußten hier nicht nur leben, sie mußten hier arbeiten, und sie mußten hier so schwer arbeiten, daß sie alles vergaßen, zuletzt sogar, nachdem sie lange vorher sich selbst vergessen hatten, sogar vergaßen, daß hier zu arbeiten unmöglich sei.
    Mir ist oft, ehe ich gestorben wurde und ehe ich zu den Toten kam, unverständlich gewesen, wie Sklaverei möglich sein kann, wie Militärdienst möglich sein kann, wie es möglich ist, daß Menschen, gesunde und vernünftige Menschen, sich ohne Protest vor Kanonen und Kartätschen jagen lassen, daß Menschen nicht tausendmal lieber Selbstmord begehen, als Sklaverei, Militärdienst, Galeerenketten und Peitschenhiebe zu ertragen. Seit ich bei den Toten war, seit ich selbst ein Toter bin, seit ich ein Totenschiff fuhr, ist auch dieses Geheimnis für mich gelöst, wie sich ja alle Geheimnisse erst nach dem Tode offenbaren. So tief kann kein Mensch sinken, als daß er nicht immer noch tiefer sinken könnte, so Schweres kann kein Mensch erdulden, als daß er nicht noch Schwereres ertragen könnte. Hier ist es, wo der Geist des Menschen, der ihn über das Tier erhebt, ihn tief unter das Tier erniedrigt. Ich habe Packzüge von Kamelen, von Lamas, von Eseln und von Maultieren getrieben. Ich habe Dutzende unter diesen Tieren gesehen, die sich hinlegten, wenn sie nur mit einem Kilogramm überladen waren, die sich hinlegten, wenn sie sich schlecht

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