Das Trauma
mich zusammen, muss mich mehrfach wiederholen, kann endlich aber klarstellen, dass wir mit dem Auto verunglückt sind und dass meine Bekannte verletzt ist. Die Frau am anderen Ende der Leitung erkundigt sich nach Atmung und Blutungen. Ob Kattis ansprechbar ist und ob sie unter Schock steht. Ich gebe ihr die GPS -Koordinaten, damit wir lokalisiert werden können, und die Frau erklärt, dass der Schneesturm viele Unfälle verursacht hat. Dass ein Krankenwagen kommen wird, dass es aber eine Weile dauern kann. Sie erklärt, dass ich dafür sorgen soll, dass Kattis es warm hat, dass ich ihr Verhalten beobachten muss. Als ich das Gespräch beendet habe, drehe ich mich zu Kattis um.
»Die sagen, wir sollen hier warten.«
Sie leckt sich die bleichen Lippen und sieht mich an.
»Nun, ich stecke mit dem Bein fest, es ist kein Herzinfarkt. Es ist schon gut. Mit geht’s gut.«
Ich ziehe den Mantel aus, beuge mich durch die Fensteröffnung und lege ihn über sie, wie eine zusätzliche Decke.
»Gehen Sie sie suchen. Ich sitze ja doch hier fest. Und laut GPS ist es gleich hier unten.«
Ich zögere, aber Kattis sieht ganz gelassen aus.
»Hallo, ich hab doch das Mobiltelefon. Ich kann Sie anrufen, wenn etwas sein sollte. Es ist alles in Ordnung.«
Ich stapfe durch den stillen Wald, ich höre nur den Wind, der stärker wird, das Knirschen des Schnees unter meinen viel zu dünnen Sohlen und meinen eigenen Atem. Um mich herum hoher dichter Tannenwald, der in den Nachthimmel ragt. Meine Füße frieren nicht, sie sind unter mir eingeschlafen, und ich spüre im Gehen den Boden nicht mehr.
Das Haus ist von dichter Vegetation umgeben. Obwohl ich nicht sehen kann, was unter der Schneedecke wächst, habe ich das Gefühl, dass im Garten seit vielen Jahren nichts mehr geschehen ist.
Als ich näher komme, sehe ich, dass nicht alles Gewächse sind, wie ich zuerst geglaubt habe. Rechts von mir liegen zwei Autowracks im Schnee versunken, wie Kadaver, die irgendwer nach Hause geschleift hat. Autoreifen sind überall zu Stapeln aufgetürmt. Links von mir ahne ich die Umrisse eines umgedrehten Einkaufswagens. Nur die kleinen Räder ragen aus der Schneedecke. Vor der Treppe ragt ein verschneiter Hügel auf, den ich bald als Plane erkenne, die etwas anderes bedeckt, vielleicht Holz oder noch mehr Schrott. Auf der Treppe drängen sich ausgediente Waschmaschinen, Mikrowellenherde und Fahrradräder. Eine zerbrochene alte Leiter lehnt an der Fassade.
Das Haus ist aus gelbem Klinker und vermutlich irgendwann in den fünfziger Jahren erbaut. Warmes Licht strahlt aus den Fenstern des Erdgeschosses, malt gelbe Streifen in den Schnee vor mir.
Alles ist still.
Um mich herum wirbelt der Schnee, hüllt langsam die traurige Sammlung aus toten Haushaltsgeräten und ausgeschlachteten Wagen ein. Mit zitternden Fingern wische ich Schnee von etwas, das aussieht wie eine alte Mangel, und setze mich darauf, um Luft zu holen. Es ist entsetzlich kalt. Ich wünschte, jemand wäre bei mir: Aina, Markus, Vijay, Hillevi.
Aus irgendeinem Grund taucht gerade Hillevi in meinen Gedanken auf. Ihre Ruhe und ihre Zuversicht könnte ich hier draußen im Wald gut gebrauchen.
Dann höre ich in der Dunkelheit hinter mir etwas. Es klingt wie ein leerer Blecheimer, der zu Boden fällt. Ein metallisches, hohles Geräusch. Ich drehe mich um. Schaue ins Schwarze, aber ich sehe nur den Schnee, der in der Nacht herumtanzt. Ist es möglich, dass ich hier nicht allein bin? Tobias? Aber im Schnee vor dem Haus gab es keine Fußspuren. Und Tobias ist in Göteborg. Weit weg von hier.
Nach einer Sekunde des Zögerns entscheide ich mich, gehe das letzte Stück auf das Haus zu, schleiche an der Hausmauer entlang. Ich schaue durch die erleuchteten Fenster. Denke daran, dass es leicht ist, hineinzublicken, dass ich von innen her aber nicht zu sehen bin.
Ich blicke in eine Küche. Die Arbeitsflächen sind vollgestellt mit Kochtöpfen, Pfannen, Schüsseln. Überall steht schmutziges Geschirr herum. Alte Pizzakartons liegen auf dem gelbweißkarierten Linoleumboden. Kein Mensch ist zu sehen. Das Haus wirkt verlassen, und ich gehe zur Haustür, schleiche die Treppe hoch und greife nach der Klinke, merke, wie die Tür widerstandslos aufgleitet.
Die Diele ist dunkel und steht voller Zeitungskartons. Ich nehme den Geruch von Zigarettenrauch und etwas anderes wahr: Essen, Öl, Kaffee, alte ungewaschene Kleider. Der unverkennbare Geruch, den es in den Häusern sehr alter Menschen gibt. Ein muffiger
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