Das Trauma
Geruch, von dem mir schlecht wird, der Bilder von endlosen Essen bei meiner alten unverheirateten Großtante zurückbringt. Schmorbraten mit Soße und Gewürzgurken. Mandelkranz. Und dann der widerliche Geruch nach altem Frauenleib und festgefressenem Schmutz, der die ganze Vorstellung durchsäuerte.
Auf dem Boden vor der Tür liegen ein Reibeisen und zwei Gummistiefel in Damengröße. Ich bücke mich, um sie mir näher anzusehen, aber ehe ich den einen Stiefel aufheben kann, kommt eine Gestalt auf mich zugestürzt. Ich brauche eine Sekunde, um zu begreifen, dass es ein Hund ist. Ein fetter alter Golden Retriever. Der Hund scheint sich über meinen Anblick zu freuen, er springt um meine Beine herum und leckt mir die Hände wie einer alten Freundin.
Meine Beine zittern, und ich gehe vorsichtig weiter durch die Diele. Durch die Türöffnung auf der rechten Seite schaue ich in ein Esszimmer. Alle Flächen sind mit Papiertüten und Zeitungen bedeckt. Dennoch ist alles überaus ordentlich aufeinandergestapelt. Als hätte der Mensch, der hier wohnt, wirklich versucht, in dem im Haus herrschenden Chaos eine Art von System zu schaffen.
Plötzlich ein schrilles Geräusch. Wie ein Kind, das aus voller Kraft in eine Blockflöte bläst. Mein Herz schlägt härter, und Müdigkeit jagt durch meine eingeschlafenen Beine.
Winzig kleine Gestalten springen aus einer altmodischen Kuckucksuhr, die über dem Esstisch an der Wand hängt. Teilen mit, dass es sechs Uhr ist. Ich atme schwer, spüre, wie die Übelkeit sich in meinem Körper ausbreitet. Drehe mich um und verlasse das Zimmer.
Auf der anderen Seite der Diele liegt ein Wohnzimmer. Die Tür ist mit Gegenständen fast verbarrikadiert. Alte Skier, Holzlatten, eine Schweißermaske. Kästen mit leeren Flaschen, die ich aus meiner Kindheit kenne. Trocadero. Sockerdricka, Pommac. Ich gehe langsam auf dieses Zimmer zu, stolpere über in Plastikfolie gewickelte Pakete, die zu Stapeln auf dem Boden liegen, packe einen Vorhang, um nicht zu stürzen. Aus dem Vorhangstoff wirbelt Staub auf und füllt die Luft um mich herum, trübt die Sicht und macht das Atmen schwer. Ich huste. Merke, wie meine Kehle sich zusammenschnürt.
Das Zimmer ist vollgestellt mit schweren dunklen Stilmöbeln. An einigen Stellen sind die Möbel aufeinandergestapelt. Stühle stehen auf Tischen. An den Wänden hängen Reproduktionen von Landschaften, weinenden Kindern und Segelbooten. Senfgelbe Samtvorhänge bedecken alle Fenster, machen es mir unmöglich, hinauszublicken.
Hinter mir höre ich den Hund, der mir folgt. Seine Krallen kratzen über das abgenutzte Parkett. Nirgendwo finde ich die Spuren eines Kindes. Ich komme mir dumm vor und frage mich zum ersten Mal, warum ich eigentlich hier bin. So sinnlos. Tilde ist nicht hier.
Als der Schlag kommt, bin ich total unvorbereitet. Der Schmerz ist scharf und spitz, und glühende Punkte tanzen vor meinen Augen. Ich spüre starke Arme, die mich von hinten umfassen, und eine Hand wird auf meinen Mund gepresst. Eine seltsame Mischung aus Rasierwasser und Schweiß schlägt mir entgegen. Ich versuche, den Kopf zu drehen, und gewinne einen Eindruck von dunklen Haaren und pickliger Haut.
Tobias.
»Du bist also doch hergekommen, du Scheißnutte«, faucht er mir ins Ohr.
»Tilde«, murmele ich.
»Das Kind? Willst du zu dem Kind?«
Ich versuche zu nicken.
»Was für ein Glück für dich, dass sie noch immer hier ist. Klar kannst du zu dem Kind. Aber sicher doch.«
Er fängt an, mich in die Diele zurückzuzerren, vorbei an den Papierhaufen und den aufeinandergestapelten Möbeln. Ich versuche, die Füße auf den Boden zu stellen, versuche, selbst zu gehen, aber ein neuer Schlag ist blitzschnell da, und ich wage nicht mehr, etwas zu unternehmen. Ein plötzlicher Stoß lässt mich das Gleichgewicht verlieren, und ich falle hilflos zu Boden. Ich spüre einen Tritt in der Seite, einen ziemlich schlaffen, fast ein wenig lustlosen Tritt, aber doch hart genug, um mir noch viel größere Angst zu machen. Ich denke an Susanne, an ihr zerstörtes Gesicht.
Hinter mir höre ich das Knarren von ungeschmierten Türangeln, und plötzlich werde ich wieder hochgerissen. Tobias hebt mich vom Boden und stößt mich in die Türöffnung.
»Sie ist da oben. In der Garderobe.«
Ich zögere eine Sekunde, glaube aber, dass er die Wahrheit sagt. Ich glaube, dass Tilde dort oben ist.
»Jetzt geh schon, verdammt noch mal.« Er stößt mich auf die Treppe zu, und ich stolpere in der Dunkelheit
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