Das Trauma
schweren Schritten umherlaufen, er schlägt mit den Türen und flucht. Ich weiß nicht, warum er mich so bereitwillig zu Tilde gelassen hat, aber ich rechne mit dem Schlimmsten. Etwas wird passieren. Etwas Entsetzliches. Ich setze mich vorsichtig auf ein Kleiderbündel, noch immer mit Tilde in den Armen. Höre ihren regelmäßigen Atem. Ich schließe die Augen. Überlasse mich dem Schmerz und dem wachsenden Schwindelgefühl.
Plötzlich höre ich ein leises Geräusch, es klingt, als wimmelte es in den Wänden von Ratten, die am Isoliermaterial knabbern. Zugleich nehme ich einen scharfen Geruch wahr. Benzin. Das Geräusch wird lauter, und plötzlich begreife ich, was passiert ist.
Es brennt. Tobias hat das Haus angesteckt.
Zwischen den ungehobelten Bodenbrettern quellen blaugraue Rauchschlingen hindurch, und ich weiß, es eilt, Möbel und Kisten mit dem Schrott vieler Jahre unten im Haus sind gute Nahrung für die Flammen. Auf der Treppe ist es noch immer dunkel. Aber das Licht vom Dachboden reicht, um zu sehen, als ich nach unten renne. Als ich nach der Klinke greife, ist sie heiß, und unfreiwillig reiße ich die Hand zurück, wickele meinen Schal darum und versuche es noch einmal. Drücke die heiße Klinke nach unten, huste in dem Rauch, der unter der Tür durchquillt. Aber die Tür geht nicht auf. Ich versuche es noch einmal. Und dann begreife ich: der Knall, mit dem die Tür zugefallen ist, das metallische Klirren, das ich gehört habe, als ich die Treppe hochgelaufen bin.
Mit Tilde auf dem Arm jage ich zurück in den engen Speicherraum. Jetzt höre ich durch den Boden unter mir das Feuer deutlich, wie ein schwaches, ausdauerndes Fauchen. Ich höre Knallen wie von zerplatzendem Glas. Irgendwo höre ich den Hund bellen. Eifrig und laut, wie um Aufmerksamkeit zu erregen.
Vor mir zeichnet sich das einsame Fenster schwarz von der Bretterwand ab.
Unendlich vorsichtig setze ich Tilde vor mir auf den Boden. Wische die Fensterscheibe mit meinem Pullover ab und schaue hinaus. Draußen wirbelt der Schnee, und ich kann nichts sehen. Ich öffne den Fensterhaken und presse mit meinem ganzen Gewicht, bis das Fenster sperrangelweit aufspringt und die kalte Luft hereinströmt, ich beuge mich vor und schaue nach unten.
Wir befinden uns vielleicht fünf Meter hoch in der Luft. Zuerst kann ich nicht sehen, was sich unter uns befindet. Die Schneedecke ist viel zu dick. Dann ahne ich irgendwelche Umrisse. Erst nach einer Weile verstehe ich, was es ist, anfangs sehe ich nur spitze Metallteile aus dem Schnee ragen, aber dann begreife ich, dass unter dem Fenster die Rahmen alter Fahrräder auf einem Haufen liegen.
Hier zu springen wäre unmöglich.
Dann sehe ich eine schlaksige Gestalt, die langsam durch den Schnee davonstapft. Der Hund folgt ihr auf dem Fuße.
»Tobias!«, rufe ich. »Du kannst uns nicht einfach verlassen. Kapierst du das nicht?«
Die Gestalt bleibt für einen Moment stehen, dreht sich um und erwidert meinem Blick, ohne zu antworten. Dann geht er weiter, ohne irgendwelche Eile.
»Komm zurück, du Mistkerl!«
Er reagiert nicht, verschwindet einfach im fallenden Schnee.
Ich lasse mich neben Tilde auf den Boden sinken. Obwohl ich das Fenster geöffnet habe, füllt die enge Kammer sich jetzt mit Rauch. Tilde hustet, und ich nehme ihre kleine kalte Hand in meine. Ich höre, dass sie etwas murmelt.
»Was hast du gesagt, Herzchen?«
»Mama«, sagt sie. »Ich will zu meiner Mama.«
Ich drücke ihre Hand, ohne zu antworten, und für einige Sekunden bleiben wir so sitzen. Dann spüre ich den Tritt. Unendlich leicht, als ob in mir ein Vogeljunges einen Purzelbaum schlägt und sich von der Bauchwand abstößt. Ich lege mir die Hand auf den Bauch und spüre es wieder. Diesmal deutlicher. Noch ein kleiner Tritt. Noch ein Leben.
Und ich weiß, dass wir aus diesem verdammten Haus entkommen müssen.
Ich schaue mich noch einmal im Raum um. Vielleicht kann ich alte Kleider zu einer Art Seil zusammenknoten, hinausklettern?
»Warte hier«, sage ich und richte mich auf. Laufe durch den engen Raum und lese Kleider vom Boden auf. Vermeide es, den bewegungslosen Frauenkörper an der Wand anzusehen. Aus allen Spalten drängt jetzt Rauch, ich kann unter uns das Feuer brüllen hören wie ein hungriges Raubtier.
Rasch knote ich die Kleider zu einem provisorischen Seil zusammen. Befestige es an einem Balken über dem Fenster und lasse es mein Gewicht tragen, um seine Stärke zu testen. Es gibt sofort nach. Eine Jeans reißt in
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