Das Trauma
unerreichbar, er kann ihr einfach nicht wirklich nahe kommen. Sie ist seine Sachbearbeiterin. Ihre Beziehung zu ihm ist wie meine zu meinen Klienten. Vielleicht hat er es getan, um sich ihr zu nähern, um sich als ihrer würdig zu erweisen.
Und Stefan, immer Stefan.
Obwohl er tot ist, kann ich nicht aufhören, ihn zu lieben. Diese verdammte Liebe drängt sich vom Jenseits her an mich heran. Macht sich bemerkbar als Riss in meiner Seele, als Keil zwischen Wirklichkeit und Traum, der das Vergangene in mein Leben einsickern lässt, in meine Wirklichkeit – wie abfließendes Wasser.
Plötzlich wird mir wieder schlecht, und Schweiß bricht mir an den Schläfen aus. Der Mantel fühlt sich um meinen Hals herum eng an. Ich reiße die Knöpfe auf und drehe mich zu Kattis um. »Können Sie kurz anhalten. Ich muss …«
»Hier? Mitten auf der Autobahn?«
»Bitte?«
Sie scheint zu sehen, dass es mir schlecht geht, denn sie fährt an den Straßenrand, schaltet den Warnblinker ein.
»Beeilen Sie sich, wir stehen hier nicht gut.«
Ich reiße die Autotür auf und steige hinaus in die Dunkelheit, in den dichten Schneefall, die beißende Kälte. Renne zur Leitplanke, gehe in die Hocke, begrabe die Hände im Schnee. Spucke etwas Unidentifizierbares aus. Atme eine Weile durch, bis meine Hände vor Kälte wehtun. Dann forme ich aus dem neuen Schnee einen Ball und reibe mir damit Stirn und Mund ab, richte mich langsam auf und gehe zum kleinen roten Auto zurück.
Als ich mich neben Kattis setze, hat sie das Radio eingeschaltet. Dunkler Soul füllt den engen Wagen, sie dreht leiser und schaut mich besorgt an.
»Geht es wieder?«
Nein, mir geht es durchaus nicht wieder gut. Mein Körper hat aufbegehrt, ich kann offenbar weder meinen Klienten noch meinen Freunden helfen, und außerdem hätte mir das mit Tobias früher einfallen müssen, diese Erkenntnis macht mir zu schaffen. Wäre Tilde dann noch immer zu Hause bei ihrem Vater?
»Ich bin schwanger«, sage ich so leise, dass ich es fast selbst nicht höre. Aber Kattis hört es. Ich sehe echte Überraschung in ihren Augen. Sie lächelt, aber ihr Lächeln wirkt steif und gekünstelt, als hätte sie irgendwo Schmerzen.
»Meinen Glückwunsch, das ist doch … phantastisch. Ist er das, der Polizist?«
Ich nicke, denke an Markus. Seine warmen Hände, seine morgenrunzlige Haut, die Schlafkörner in den blauen Augen. Wie er nachts meinen Bauch hält, als wollte er das Kind darin vor allem Übel beschützen. Als könnte er es wirklich vor der Schlechtigkeit der Welt behüten.
»Es war nicht geplant«, sage ich und bereue diesen Kommentar sofort, denn ich habe das Gefühl, Markus noch einmal zu verraten, indem ich erzähle, dass ich mit ihm nun wirklich kein Kind geplant hatte.
Kattis tritt plötzlich auf die Bremse, und wir schlingern durch den Schneematsch.
»Verdammt.«
Irgendwo vor uns in der Dunkelheit ahne ich Blaulicht und eine lange Schlange, die sich am Hang nach Vårby hinunter gebildet hat. Kattis stellt die Scheibenwischer auf Höchstgeschwindigkeit. Aber wir können doch nur zehn Meter weiter sehen. Sie dreht die Musik wieder lauter, als wollte sie nicht reden, starrt das Blaulicht an, das langsam näher kommt.
Ich mustere in der Dunkelheit ihr Profil, sehe das blaue Licht über ihre fein gezeichneten Wangenknochen und betonten Augenbrauen schweifen. Frage mich, ob ich sie wirklich kenne, ob ich weiß, was sich in ihrem Kopf bewegt. Was sie eigentlich über mich und Aina denkt, darüber, was mit Susanne und Hillevi passiert ist. Über Henrik und Tilde.
Dann haben wir die Unfallstätte erreicht. Ein scheinbar unversehrter Lastwagen steht auf der mittleren Fahrspur, aber im Vorüberfahren sehe ich den kleinen Personenwagen, der davor verkeilt ist: ein Metallball, wie zusammengeknülltes Stanniolpapier. Mein Magen krampft sich zusammen.
»Weiter geradeaus«, sagt die blecherne GPS -Stimme.
»Shit«, sagt Kattis. »Ich hoffe, die schaffen das.«
Ich nicke, kann nicht antworten. Starre stattdessen wie hypnotisiert die Feuerwehrleute und Polizisten an, die an der Unfallstelle bei der Arbeit sind. Dann wird an die Windschutzscheibe geklopft. Der Polizist draußen winkt uns gereizt weiter, »verdammt, warum müsst ihr alle anhalten und gaffen!«, höre ich ihn brüllen, und Kattis tritt so hart auf das Gaspedal, dass der Wagen im Schnee einen Sprung nach vorn macht.
Ich weiß nicht, warum, aber plötzlich bin ich neugierig auf Kattis. Sie hat so oft über ihre Beziehung zu
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