Das Trauma
und Aina sich meinetwegen wieder Sorgen machen.
Aina zuckt mit den Schultern.
»Ich glaube nicht, dass er trinkt oder im Knast gesessen hat, aber was weiß ich? Kattis sagt, dass er gewalttätig war. Außerdem scheint er sie ungeheuer geliebt zu haben, konnte sie wohl nicht loslassen. Kam einfach nicht los von ihr. Und das scheint auch für sie zu gelten.«
Vijay lacht und beugt sich zu Aina vor. Streicht vorsichtig eine der langen blonden Strähnen weg, die sich aus dem achtlos aufgesteckten Knoten gelöst haben, legt diese Haare hinter ihrem Ohr zurecht. Eine Geste, die intim und zärtlich zugleich ist.
»Nicht geliebt, es geht nie um Liebe. Es geht um Macht. Vergiss das nicht.«
Auszug aus dem schulärztlichen Bericht,
Unter- und Mittelstufenschule Älvängen
Die Mutter meldet sich heute bei der telefonischen Beratung und macht sich große Sorgen um den Sohn, der in die dritte Klasse geht. Sie berichtet, dass der Junge immer häufiger über Bauchweh und Kopfschmerzen klagt und behauptet, krank zu sein. Die Mutter muss ihn überreden, zur Schule zu gehen. Sie sagt, der Junge werde in der Schule von den anderen Kindern gemobbt, weil er langsam und ein bisschen dick ist. Einmal haben einige ältere Jungen ihn dazu gebracht, Kaninchenkot zu essen, den sie als Süßigkeiten ausgegeben haben. Sie hat auch Angst, ihr Sohn könnte von anderen Kindern ausgenutzt werden, weil er leichtgläubig und ein wenig naiv ist. Sie glaubt, dass andere Kinder ihren Sohn zu Ladendiebstählen anstacheln, indem sie ihm Süßigkeiten und Zeitschriften versprechen. Sie berichtet zudem, dass diese Situation zu immer mehr Konflikten zu Hause führt und dass ihr Mann sie für nachgiebig und schwach hält.
Wir beschließen, dass Mutter und Sohn zu einem persönlichen Gespräch zu mir kommen sollen. Ich rate ihr auch, im Gesundheitszentrum Blut abnehmen zu lassen, um ev. Eisenmangel und Ähnliches auszuschließen.
Sara Solberg, Schulkrankenschwester
Aina und ich drängen uns auf der Götgata unter einem kleinen roten Regenschirm zusammen. Dicke Pullover, Schals und Stiefel vermögen die feuchte Kälte nicht zu stoppen.
»Verdammt, ist das kalt«, sagt sie und zieht die dünne Lederjacke über ihrer Brust zusammen.
»Du solltest vielleicht überlegen, ob du dir nicht ein wenig wärmere Sachen anschaffst?«
Ihr Lächeln ist breit und vielleicht ein wenig herablassend, als sie mich anblickt. »Ich kann doch jetzt nicht einfach mit Thermohosen und Skimütze herumlaufen. Außerdem …«, sie wird wieder ernst, senkt ihr Gesicht, wie um den feuchten Bürgersteig unter unseren Füßen zu betrachten, »… ich bin ein wenig knapp in diesem Monat.«
»Soll ich dir was leihen?«
Sie schüttelt wortlos den Kopf. Streicht sich feuchte blonde Strähnen aus dem Gesicht.
»Ach, zu irgendwas muss der Überziehungskredit doch gut sein, oder?«
Am Monatsende ist Aina fast immer in Geldnöten. Wir zahlen uns ja auch kein sonderlich hohes Gehalt, aber ich weiß, dass ihre Miete niedrig ist, sehr niedrig. Und andere Unkosten hat sie eigentlich nicht, also dürfte sie keine finanziellen Probleme haben. Es kommt vor, dass ich ihr Geld leihe, und ich kriege es zu Beginn des nächsten Monats immer zurück. Ich könnte mit ihr darüber reden, ihr sagen, was ich davon halte, wie sie mit ihrem Geld umgeht, aber ich weiß nicht so recht, wozu das gut sein soll. Aina ist meine Freundin. Sie ist erwachsen und in jeder Hinsicht fähig, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.
Ein Auto braust durch eine Wasserlache und bespritzt Ainas Waden mit einem Schwall blaugrauen Wassers.
»Idiot!«, schreit Aina und zeigt dem Wagen den Finger.
»Aber hör mal …« Ich packe ihren Arm und drücke ihn vorsichtig nach unten. »Willst du eine Schlägerei anfangen, oder was?«
»Aber hast du nicht gesehen, dass er mich total vollgespritzt hat?«
»Sicher, aber wir haben jetzt keine Zeit für so was. Bearbeite deine Aggressionen auf der Yogamatte. Wir hätten schon vor zwanzig Minuten da sein müssen.«
Aina seufzt und zuckt mit den Schultern, dann zieht sie ihre Lederjacke noch einmal um ihren Körper zusammen.
»Kommen denn alle?«
»Hillevi kann nicht. Sie hat Dienst.«
Wir wollen uns im Pelikan treffen, um zusammen zu essen und darüber zu sprechen, was geschehen ist. Darüber, dass Kattis’ Ex seine Freundin umgebracht hat. Kaltblütig in ihrer Küche zu Tode getreten hat. Und wir wollen das machen wie zivilisierte Menschen, in einem Restaurant.
Wir hätten beim
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