Das Trauma
nächsten regulären Treffen darüber reden können, aber Malin hat vorgeschlagen, dass wir uns im Restaurant treffen, und Sofie und Sirkka haben erklärt, auch wir Gruppenleiterinnen müssten selbstverständlich dabei sein, und wir haben beschlossen, diesen Wunsch zu respektieren. Es ist ja trotz allem eine Selbsthilfegruppe, keine Therapierunde. Auf irgendeine Weise ist es auch ein gutes Gefühl, auszugehen, uns ein wenig zu entspannen.
Ein Geruch nach Küche und feuchter Wolle durchzieht das spärlich beleuchtete Lokal. Heute Abend sind viele Leute unterwegs, und ich bin froh, dass ich einen Tisch bestellt habe. In einer Nische an der Wand ahne ich rote Haare und kann jemanden winken sehen. Sirkka.
»Da«, sage ich. »Sie sind schon da, allesamt.«
Wir drängen uns durch biertrinkende, schwarzgekleidete Söder-Bewohner. Warten einige Sekunden, um eine Kellnerin durchzulassen, die die Hände voll hat mit Tellern, auf denen sie Frikadellen und Kartoffelbrei geladen hat.
Um uns herum: Stimmengewirr, das Gemurmel von Menschen, die wir nicht kennen, die mit uns den dunklen Herbstabend teilen. Auf allen Tischen brennende Kerzen, die Flammen flackern im Luftzug von der Tür, die immer wieder sperrangelweit aufgerissen wird.
»Hallo, Mädels«, sagt Sirkka und zeigt in einem strahlenden Lächeln ihre gelben Zähne.
Aina umarmt sie und murmelt einen Gruß, während sie ihre Nase in den roten Haaren vergräbt. Ich begrüße Malin, die einen Baumwollpullover mit dem Aufdruck »Team Boston 2009« trägt. Sie riecht frischgeduscht, lacht und fährt mir durch die kurzen Haare. Diese Geste hat etwas Intimes, und ich fühle mich plötzlich verlegen. Als ich mich von ihr fortwende, kommt Sofie auf mich zu, auch sie mit ausgestreckten Armen. Vorsichtig und unbeholfen umarmt sie mich, ohne etwas zu sagen, aber ich kann ihr ansehen, dass sie sich freut, dass wir gekommen sind. Als ich mich abermals umdrehe, steht Kattis vor mir, ihre Haare sind ungewaschen und hängen strähnig auf ihre Schultern. Ihre Augen sind geschwollen, der Mund ein dünner Strich. Auf den Wangen ahne ich zwei rote Flecken, als wäre sie verstört oder hätte eben noch geweint.
»Kattis!« Mehr kann ich nicht sagen.
»Ich weiß«, sie schüttelt den Kopf. »Ich sehe furchtbar aus.«
»Nein, so war das nicht gemeint.«
Sie lacht kurz und verlegen. Ihr bleiches, verbissenes Profil zeichnet sich vor den biertrinkenden Bargästen ab, und der Kontrast ist überwältigend. Sie würde besser auf eine Beerdigung passen als in eine enge Bierkneipe auf Söder.
Vorsichtig lege ich ihr die Hand auf die Schulter und merke, wie sie zusammenzuckt, als hätte ich ihr einen Stoß verpasst. Sie erwidert meinen Blick, nickt kurz und müde, fast verständnisvoll, als ob wir beide etwas begriffen hätten, ohne deshalb auch nur ein Wort wechseln zu müssen, und lässt sich dann auf ihren Stuhl sinken, wiederum ohne irgendetwas zu sagen.
Ich setze mich neben sie und sehe die anderen an. Sofie, Sirkka und Malin, aber keine scheint etwas bemerkt zu haben. Anders als Aina, die mich über den dunklen Holztisch hinweg mustert; zwischen ihren betonten Augenbrauen bildet sich eine Furche heraus. Ich vermute, dass sie sich um Kattis Sorgen macht, vielleicht aber auch um mich.
Dann bricht Sirkka das Eis.
»Liebes Kind, dass es so kommen musste, wirklich!«
Kattis gibt keine Antwort, sie sitzt nur starr auf ihrem Stuhl, hocherhobenen Hauptes, die Hände auf dem Tisch gefaltet, den Blick auf die vor ihr stehende Kerze gerichtet.
»Ich habe in der Zeitung darüber gelesen …«, beginnt Sofie vorsichtig. »Es ist ein verdammt komisches Gefühl, man glaubt irgendwie nie, dass so etwas passieren kann. Das ist doch total krank, oder nicht?«
»Nicht so krank, wie es wäre, wenn dein Ex jemanden umgebracht hätte«, flüstert Kattis, ohne den Blick zu heben.
»Entschuldigung, ich wollte nicht …«
»Natürlich nicht«, murmelt Kattis und sieht uns an. Ihr Blick hat etwas Trübes und Resigniertes. Die geschwollenen, rotunterlaufenen Augen vermitteln eine Art Gleichgültigkeit, die mir unendlich größere Angst einjagt als ihre Tränen am Abend zuvor in der Praxis. »So etwas kann man einfach nicht fassen, oder? Ich kann es jedenfalls nicht, und dabei wusste ich doch, wozu er fähig ist, versteht ihr?«
»Sie müssen jetzt stark sein«, sagt Sirkka und erwidert ihren Blick.
»Was hilft das denn schon?«
»Das macht einen riesigen Unterschied. Für Sie.«
»Aber was ist mit ihr?
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