Das Trauma
Götgata mischt.
Der verschlissene rostbraune Lammwollpullover ist an seiner Taille ein wenig hochgerutscht und legt einen bleichen schlaffen Nabel frei. Sven wird alt, denke ich. Möchte man einsam altern? Werde ich einsam altern, weil ich solche Probleme damit habe, jemanden in meine Nähe zu lassen?
»Aber«, sage ich zögernd. »Ich verstehe das nicht so ganz. Du hast doch gesagt, sie habe dich erwischt?«
»Sie hat mich erwischt.«
»Aber …?«
»Sie hat mich beim Saufen erwischt. Sie hat mich zwischen den Flaschen gefunden, verstehst du. Das war das Einzige, was sie nicht ertragen konnte. Das Einzige, was ich nie wieder tun wollte. Dieser Scheißschnaps. Weißt du noch im vorigen Sommer, bei dem Krebsfest, wo ich mich so betrunken habe? Danach musste ich ihr versprechen, nie wieder zu trinken, sonst würde sie mich verlassen, hat sie gesagt. Andere Frauen gingen ihr sonst wo vorbei, aber der Alkohol … Ich kann sie ja auch verstehen. Vor zwanzig Jahren hätte ich fast Haus und Hof versoffen. Ich war in der Praxis angetrunken. Meine Klienten reichten Klage ein, ich wurde angezeigt. Sie dachte wohl … es würde wieder passieren, verstehst du?«
Ich gebe keine Antwort. Das hätte ich nicht erwartet. Alle gehen davon aus, dass Birgitta Sven verlassen hat, weil er sie betrogen hat. Seine Frauengeschichten sind legendär. Aber das mit dem Trinken habe ich nicht geahnt. Sicher hat er irgendwann einmal erwähnt, dass er früher zu viel getrunken hat. Aber auf irgendeine Weise habe ich das als Jugendsünde abgehakt, war nie auf die Idee gekommen, dass dieses Problem noch immer bestehen könnte.
Nichts ist so, wie es aussieht.
Sven, der seine Arbeit so gewissenhaft verrichtet, der seine Klienten so wichtig nimmt und zu dem Aina und ich gehen, wenn wir Rat und Tat brauchen.
Trinker? Ich kann es nicht glauben.
»Und jetzt?« Diese Frage stelle ich vorsichtig. Will nicht, dass er sich zu einer Antwort gedrängt fühlt. Was er mir erzählt hat, ist zutiefst privat.
»Gerade jetzt würde ich wahnsinnig gern einen Schnaps trinken«, sagt er und mustert mich mit undurchschaubarem Blick. »Aber damit ist jetzt Schluss. Und mit der Liebe ist für mich auch Schluss. Damit bin ich fertig.«
Ich lächele ihn an, beuge mich über den wackeligen Esstisch vor und streiche vorsichtig mit der Hand über seinen fusseligen Pullover, spüre den Zigarettengeruch, als er über dem Tisch ausatmet.
»Glaubst du nicht, dass du jetzt ein wenig übertreibst? Das überlegst du dir vielleicht noch anders, wenn du dir ein bisschen Zeit lässt.«
Er fasst meine Hand und schaut mir in die Augen.
»Nein.«
»Nein?«
»Ich bin fertig mit der Liebe. Ich will nicht mehr. Es bringt nichts. Der Schmerz … ist zu groß.«
Ich nicke stumm, denn was soll ich schon sagen?
Lange bleiben wir so sitzen, meine Hand in seiner, die Dunkelheit, die vor dem Fenster dichter wird. Dann schaut er mich an, sagt:
»Ja, hier sitzen wir. Zwei Alkis in derselben Praxis.«
Er drückt meine Hand ein wenig, ein Lächeln huscht über sein Gesicht, und ich kann ihm nicht böse sein. Obwohl er das Unaussprechliche ausspricht, das berührt, was nicht berührt werden darf. Ich lächele einfach müde zurück und zucke kurz mit den Schultern.
Er hebt den Blick zur Tür, und da steht Aina, mit weißen Tüten aus den Söderhallen in der Hand. Sie trägt noch immer ihre Lederjacke, die gestreifte Mütze und die viel zu großen gestrickten roten Handschuhe. Ihr Blick ruht gelassen auf mir, und ich frage mich, wie lange sie unserem Gespräch schon zugehört hat.
»Falafel?«, fragt sie mit sanfter Stimme.
»Ihr Verflossener hat also seine Neue umgebracht?«
Vijay auf seinem Stuhl.
Die Haltung nur wenig besser als die eines Sacks voller Holz. Die Zigarette im Mundwinkel und behaarte Arme, die aus dem haarscharf zu engen orangen T-Shirt hervorschauen. Vor der Tür liegen seine Turnschuhe auf dem Boden, und an den Füßen trägt er Lammfellpantoffeln. Flauschiges Fell quillt bei den Knöcheln heraus. Wieder denke ich, dass er langsam zu einem von den vielen exzentrischen Professoren wird, die uns damals unterrichtet haben, die damit durchkamen, dass sie sozial unfähig waren, junge Studierende aufs Kreuz legten oder auf den Gängen Selbstgespräche führten.
»Ja, er hat sie umgebracht.«
Aina flüstert die Antwort beunruhigend schnell, wie um mir zuvorzukommen oder als glaube sie vielleicht nicht, dass ich diese schlichte, aber schicksalsschwangere Frage
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