Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe
Vom Netzwerk:
mit blauen Perlen herum, den sie um das Handgelenk trägt, »ich glaube, dass Kattis uns jetzt braucht.«
    Der letzte Satz klingt wie eine Frage, und ich staune wieder darüber, wie vorsichtig und zurückhaltend sie ist, wie sehr sie darauf achtet, immer auf uns einzugehen, sich der Gruppe unterzuordnen.
    »So sehe ich das auch«, sagt Malin. »Jetzt müssen wir Kattis helfen. Ich selbst bin wahnsinnig wütend. Ich könnte den Kerl umbringen. Das meine ich so. Wortwörtlich.«
    »Sie empfinden also starken … Zorn?«, frage ich.
    Malin lacht.
    »Ach, hören Sie doch auf. Wissen Sie, wie Sie sich anhören?«
    »Wie denn, wie eine Psychologin? Ihre Psychologin?«
    Sie lacht wieder, aber es ist ein freudloses, mechanisches und tonloses Lachen. »Genau, und weil Sie das sind, können Sie vielleicht verstehen, warum ich wütend bin?«
    »Das kann ich natürlich. Aber ich weiß nicht …«
    »Was?« Sie hebt die Hände.
    »Ich weiß nur nicht, wie konstruktiv es ist, wütend zu sein.«
    »Es ist besser, wütend zu sein als Angst zu haben«, sagt Malin. »Es ist besser, stark zu sein als schwach. Da stimmen Sie mir doch wohl zu?«
    »Ich wünschte, ich wäre so stark wie Sie.«
    Das ist Kattis. Plötzlich steht sie wieder am Tisch. Ich habe sie nicht kommen sehen und frage mich, wie lange sie unserem Gespräch schon zugehört hat.
    »Sie sind stark«, sagt Malin und trinkt einen Schluck Cola. »Alle sind innerlich stark. Wir müssen nur Kontakt zu der Stärke in uns finden. Das ist eine Trainingssache.«
    Kattis lächelt skeptisch und lässt sich auf ihren Stuhl sinken. Sie hebt ihr Bierglas ins Licht und betrachtet die Kerzenflamme dahinter, sie dreht den Kopf ein wenig, und ihre Haare fallen schwer über ihre Schulter. Dann nippt sie am Bier, als fürchtete sie, sich daran zu verbrennen.
    »Eine Trainingssache? Wie denn, wie beim Sport?«
    Kollektives Kichern.
    Malin sieht irritiert aus.
    »Sicher. Zwischen physischer und psychischer Stärke gibt es keinen Unterschied. Mentale Stärke lässt sich trainieren, ein Gehirn ist genau wie ein Muskel. Und wenn man das geschafft hat. Ja, dann kann dir kein Arsch mehr was antun.«
    »Können Sie mir das vielleicht beibringen?«
    Kattis lächelt zaghaft.
    »Natürlich, danach werden Sie steinhart sein, Schwester! Aber vorher heißt es natürlich hart trainieren. Umsonst gibt es nichts. Wenn man seinen Körper und vielleicht sogar seine Psyche verändern will, muss man große Opfer bringen. Man muss dieser Aufgabe einen Teil seines Lebens, seiner Zeit weihen.«
    »Aber will man denn so werden?«, fragt Sirkka.
    Malin verstummt, stellt ihr Glas auf den Tisch und fährt sich mit der Hand durch die kurzen weißblonden Haare. Eine kurze Pause folgt.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Na, eben wie ein Mann werden, groß und muskulös. Und hart bis in die Seele hinein. Wir sind doch schließlich Frauen«, murmelt Sirkka und reibt die Hände aneinander, und plötzlich geht mir auf, dass sie ihr wehtun, und ich frage mich, warum ich sie nicht schon längst gesehen habe, diese gekrümmten Finger, die geschwollenen Gelenke. Sie hat ein leichtes Lächeln auf den Lippen, das die zahllosen Fältchen um ihren Mund vergessen lässt, sie jünger aussehen lässt, verrät, wer sie einst gewesen ist.
    Damals.
    Bevor …
    Malin hat die Arme vor der Brust verschränkt. Etwas Düsteres liegt jetzt in ihren Augen.
    »Lieber das jedenfalls, als ein Opfer sein.«
    »Aber muss es denn so sein?«, fragt Sirkka. »Müssen wir Männer aus uns machen, um ihrer Gewalt zu entgehen? Müssen wir werden wie sie? Ist das die Lösung? Können wir nicht sein dürfen, wie wir sind, ohne vergewaltigt und geschlagen und … erniedrigt zu werden? Ist das vielleicht zu viel verlangt?«
    »Ich sehe das jedenfalls so«, sagt Aina plötzlich und stellt ihr fast leeres Bierglas mit einem Knall auf den Tisch, wobei alle zusammenzucken. »Ich finde, Sirkka hat ganz recht, es ist nicht richtig, dass wir uns ändern sollen. Jede muss einen kurzen Rock tragen dürfen, ohne vergewaltigt zu werden. Jede darf eine Beziehung aufgeben, ohne ermordet zu werden. Keine darf Hure genannt werden, weil sie ihre Sexualität annimmt. Aber … bis es so weit ist, gehe ich gern in einen Selbstverteidigungskurs. Oder?«
    »Wenn ich das wüsste. Hätte ein Selbstverteidigungskurs Susanne Olsson retten können?«, murmelt Sirkka.
    »Susanne Olsson? Sie hieß Olsson?«, fragt Malin, sie scheint zu erstarren, und ihr Glas bleibt in der Luft hängen, auf

Weitere Kostenlose Bücher